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Kultur: Der Marsch der Zapatisten: Freundliche Übernahme

Am Sonntag war es so weit. Tausende Menschen standen auf dem "Zocalo" in Mexiko-Stadt.

Am Sonntag war es so weit. Tausende Menschen standen auf dem "Zocalo" in Mexiko-Stadt. Die Dachterasse des plüschigen Hotel "Majestic" war wie alle anderen Dächer, Fenster und Balkone rund um den Zentralplatz der mexikanischen Hauptstadt besetzt von Polizisten, Fernsehteams und Fotografen. Was schon auf der Tour zu hören war, wiederholte sich hier: "Marcos, wir lieben Dich!", "Wir alle sind Marcos!" Seit der populäre Zapatisten-Führer "Subcomandante Marcos" und 23 weitere Comandantes der EZLN-Guerilla am letzten Februarwochenende im Dschungeldorf "La Realidad" ihre Waffen niedergelegt und ihren Friedensmarsch von Chiapas aus in die Hauptstadt angetreten hatten, begleiteten tausende Sympathisanten den bunten Treck.

Unbestreibarer Medienstar der "Zapatour" ist der "Sub", wie Marcos kurz genannt wird. Sein Markenzeichen, die Pfeife, die er durch die schwarze Skimütze zwischen den Lippen hält, geht nie aus, solange er auf dem Beifahrersitz des Zapatistenbusses durch das Land fährt. Sein bürgerlicher Name ist Rafael Guillen. Nach seinem Politikstudium an der Universität in Mexiko-Stadt ging er in den achtziger Jahren nach Chiapas, um sich dort der Guerilla anzuschließen.

Die Großkundgebung in Mexiko-Stadt war der Höhepunkt der zweiwöchigen Tour. Endstation für die 24-köpfige Guerilla-Führung aber ist das Parlament. Dort wollen sie am Dienstag für ein Gesetzespaket eintreten, das den rund zehn Millionen Ureinwohnern des Landes mehr Selbstbestimmung und Rechte bringen soll.

Auf wesentliche Punkte hatten sich die Zapatisten bereits vor fünf Jahren mit der Parlamentarier-Kommission Cocopa verständigt. Doch die Regierung unter dem alten Präsidenten Ernesto Zedillo weigerte sich, die entsprechenden Gesetze zu verabschieden. Neben der Freilassung inhaftierter EZLN-Kämpfer und dem Rückzug der Armee aus insgesamt 200 Stützpunkten im südlichen Bundesstaat Chiapas machen die Zapatisten die Umsetzung dieser so genannten Cocopa-Initiative durch den Kongress nun zur Bedingung für die Aufnahme von Friedensgesprächen mit der Regierung.

Als am 1. Januar 1994 das Zapatistische Befreiungsheer EZLN im Handstreich die Stadt San Cristobal in Chiapas besetzte, wirkte das Auftreten der maskierten Aufständischen fast anachronistisch. Die Zeit bewaffneter Befreiungsbewegungen schien vorbei zu sein. Mit der gleichzeitigen Gründung der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta mit Kanada und den USA wähnte sich das offizielle Mexiko an der Schwelle zur Ersten Welt. Entsprechend hart schlug die Armee den unerwarteten Aufstand zurück. Doch nach wenigen Tagen war der Bürgerkrieg eigentlich schon vorbei. Das Heer rückte zwar immer tiefer vor, doch die Zapatisten zogen sich in unwegsames Gelände zurück.

Von dort, aus dem Lacandonischen Regenwald, setzen sie seither in regelmäßigen Abständen ihre stärkste Waffe ein: das Wort. Über das "world wide web" verbreiten sie ebenso treffende wie beißende Kritik an den Zuständen in dem Land, das der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa einmal als die "perfekte Diktatur" bezeichnete. Sie berufen sich dabei auf eine andere Revolution, die 90 Jahre zurücklag und in die die Institutionelle Revolutionspartei PRI erstarrt war. Den Kampf von Bauernführer Emiliano Zapata gegen Großgrundbesitzer und Feudalherren wollten die Zapatisten wieder aufnehmen. Doch seit dem fulminanten Start im Januar 1994 machten sie weniger durch militärische als politische Aktionen von sich reden. Mit ihrer unzensierten Öffentlichkeitsarbeit hat die linksgerichtete zapatistische Bewegung maßgeblich zum wachsenden Demokratie- und Selbstbewusstsein der Mexikaner beigetragen, das nicht zuletzt zu veränderten Mehrheitsverhältnissen führte. Paradoxerweise hat davon weniger die linksgerichtete PRD profitiert als die konservativ-klerikale PAN. Die bisherige Staatspartei PRI verlor einen Gouverneursposten nach dem anderen und schließlich auch die Präsidentschaftswahlen.

Seit der Wahl von Vicente Fox von der PAN öffnen sich in dem Schwellenland ungeahnte politische und soziale Freiräume. Wie in keinem anderen Land südlich des Rio Grande hat sich im vergangenen Jahrzehnt ein rasanter gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Gleichzeitig mausert sich Mexiko vom armen Entwicklungsland allmählich zum High-Tech-Produzenten.

Der Nafta-Beitritt hat auch zu einer Stärkung der Gewerkschaften beigetragen, politische Proteste und Studentenaufstände können heute nicht mehr mit derselben Brutalität niedergewälzt werden wie in vergangenen Jahrzehnten. Interessensvertretungen und Selbsthilfegruppen haben sich einen wichtigen Platz in der Gesellschaft erobert, und allen neoliberalen Versuchen und der Nähe zu den USA zum Trotz haben sich viele wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften bis heute gehalten. In dieser Situation übernahm Präsident Fox das Ruder. Das Zapatisten-Problem erklärte er zur Chefsache.

Offenbar hat der Präsident erkannt, dass er die aufständischen Indios viel besser mit ihren eigenen Waffen unter Druck setzen kann. Er vermeidet direkte Konfrontationen, und er benutzt die Medien, deren streng antizapatistischer Diskurs im Rahmen der neuen Chiapas-Politik nicht mehr funktioniert. Marcos bezeichnete diese Anbiederung an den Präsidenten als "simulierten Frieden". Frei von der populärmarxistischen Rhetorik anderer Guerillas halten die Zapatisten ihre Forderung nach Befreiung der "erdfarbenen Menschen" aufrecht, garniert mit Kritik an der wirtschaftsliberalen Politik des Globalisierers Fox. Doch die birgt ungeahnt freundliche Vereinnahmung.

Jens Holst

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