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Kultur: Der Naseweise

„Götterpläne & Mäusegeschäfte“: Die Marbacher Schillerausstellung holt einen Heroen vom Sockel

Da steht er also: Schillers Kopf, als Gipsabguss seiner Totenmaske. Verwischt die Züge des etwas derben Mundes, die Wangen bis auf die Knochen eingefallen, eine Physiognomie in der Auflösung – wäre da nicht diese Nase: groß und beherrschend, in ihrer leichten Krümmung wie ein Platzhalter für all den adlerhaften Enthusiasmus, den man mit dem Dichter verbindet. Kein schärferer Gegensatz lässt sich zu diesem Gipsgebilde denken als die apollinisch-schöne Dannecker-Büste, die draußen im Foyer des Marbacher Schiller-Nationalmuseums den Besucher empfängt. Und vielleicht ist genau dieser Kontrast für die Sonderausstellung Programm, mit der Marbach dieses Schillerjahr begeht.

Begnügten sich frühere Dichterfeiern mit der Beglaubigung jener Heroengeschichte, wie sie Dannecker ins plastische Bild gesetzt hat, rückt hier nun anderes in den Blick: ein Mensch aus Fleisch und Blut, der auch metaphorisch gesprochen eine über die Maßen gut ausgebildete Nase für alles besaß, was seinen Interessen diente. Ein Genie der Freundschaft und der Berechnung.

„Götterpläne und Mäusegeschäfte“: Man muss die Kluft, die der Ausstellungstitel umreißt (die Fundstelle des Zitats weist heute der erste Teil unserer kleinen Schiller-Serie nach) nicht gleich als Fallhöhe deuten. Und doch wird Schiller von Frank Druffner und Martin Schalhorn, den Kuratoren der Ausstellung, auf erfrischende Weise vom Sockel geholt.

Apropos Mäuse: Gleichen Archivare nicht selbst ein wenig jenen emsigen grauen Wesen, die gierig jeden Schnipsel in ihren verborgenen Vorratskammern horten, gleichviel ob es sich dabei um Vorstudien zu künftigen Meisterwerken handelt oder nur um eine Rechnung des Stuttgarter Ochsenwirtes? Die Marbacher Schau jedenfalls macht sich die Kenntnis untergründiger Verbindungswege auf kluge Weise zunutze. Sie setzt die Realien gegen die Reliquien, was in diesen Tagen des Personenkults nicht hoch genug zu schätzen ist.

„Schiller stirbt“, damit fängt alles an, eingedenk des 200. Todestags, der dieses Jahr zum Schillerjahr macht. Der ideale ist ein durch und durch irdischer Schiller, den auch ein letztes für ihn ausgestelltes Rezept nicht mehr retten konnte: eine schmerzstillende Tinktur aus Opium und Rizinusöl. „Weimar trauert, bald wird Deutschland weinen“, ist an der Wand zu lesen. Und der Dreischritt aus Textmontage, gegenständlichen und schriftlichen Exponaten erweist sich als adäquate Weise, sich durch die sinnlich-geistigen Doppelaspekte dieses Lebens zu bewegen. Mag die Konzentration auf das Äußerliche im Falle des Sterbenden in der Natur der Sache liegen, so erstaunt es doch, ihr in unterschiedlichen Facetten auch bei dem Lebenden wieder zu begegnen.

Schiller war eitel. Jede Ehrung ließ er sogleich in der Zeitung öffentlich bekannt machen. Man weiß nicht, über was man sich mehr wundern soll: über die prächtigen Urkunden und Diplome, in denen sich sein Aufstieg manifestiert, oder über den Pragmatismus, mit dem er denselben betrieb. „Du siehst, dass ich es schon weit gebracht hab“, schreibt Schiller voller Selbstgefühl an einen Freund. Wie weit, dafür lohnt es sich, manches Dokument genauer zu studieren, etwa jenes französische aus dem Jahr 1792, in dem einem gewissen „M. Gille Publiciste allemand“ – kein anderer als Schiller selbst – neben so illustren Gestalten wie George Washington und Klopstock das französische Bürgerrecht verliehen wurde. Berechnung leitet auch die literarische Produktion, von den „Räubern“ bis zum „Wilhelm Tell“. Präzise stimmt Schiller den Apparat seiner poetischen Inspiration auf das ökonomische Räderwerk des literarischen Marktes ab, vertraut auch hier seiner Nase für bestimmte Konjunkturen – gibt einmal den löwenhaft-aufrührerischen Radikal-Dramatiker, macht sich im nächsten Moment mauseklein, um in die Almanach-Formate zu passen, die durch lesende „Frauenzimmer“ zum Leitmedium eines boomenden Buchhandels wurden. Das erste eigene Möbelstück, eine Schreibkommode, zeugt vom Erfolg dieses Verfahrens.

Falsch wäre es indes, das Marbacher Unternehmen ausschließlich unter das Vorzeichen einer idealischen Ausnüchterung zu stellen. Im Gegenteil. Es erzeugt eine Art Realitätstrunkenheit, wie hier Strümpfe und andere alltägliche Dinge aus Schillers Besitz mit erhabenen Plänen konkurrieren. Der Betrachter wird davon mindestens so ergriffen, wie der Dichter von manch niederen Genüssen. Denn dieser Schiller rechnet nicht nur. Er hat auch seine Freude an Champagner und „Chocolady“, lebt bisweilen über seine Verhältnisse – und pflegt liebevoll seine schöne Nase.

„Ein Schnupfer wie Schiller war nicht leicht zu finden“, liest man an einer Stelle, und tatsächlich verzeichnet eine Kleiderliste 33 bunte und 14 weiße Schnupftücher. Wozu dieses Wissen gut ist? Vielleicht als eines von vielen Puzzleteilen, aus denen sich in diesem Jahr ein anderes, authentischeres Schiller-Bild als das überkommene zusammensetzen lässt. Ein Bild, sparsam an großen Gesten, bei dem Worte wie „Erhabenheit“ zunächst einfach nur an die Form einer Nase denken lassen.

Schiller-Nationalmuseum, Marbach; bis 9. 10.; Katalog 20 €. Anzufordern unter bestellung@dla-marbach.de.

Stefan Kister

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