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Kultur: Der ostdeutsche Herbst

MoMA in Dresden: Gerhard Richters Stammheim-Zyklus gastiert in der Galerie Neue Meister

Seine Abwesenheit ist unübersehbar. „Warum wird der RAF-Zyklus nicht gezeigt?“, war die erste Frage bei der Eröffnung der Düsseldorfer Richter-Retrospektive vor vier Wochen. „Weil er 2004 sieben Monate lang beim MoMA-Gastspiel in Berlin zu sehen war“, erwiderte Armin Zweite, Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Man habe sich eher auf weniger präsente Werke konzentrieren wollen. Doch die 15 Gemälde mit dem Titel „18. Oktober 1977“, die auf Polizei- und Pressefotografien von Stammheim und den dort gestorbenen RAF-Terroristen basieren, sind nun einmal Richters bekanntestes und bedeutendstes politisches Werk.

Auch bei der RAF-Ausstellung, die seit Ende Januar in den Berliner Kunst-Werken zu sehen ist, fehlt das Hauptwerk der künstlerischen Auseinandersetzung mit der deutschen Terrorismusgeschichte – es hätte das Gegenstück zu Hans-Peter Feldmanns Foto-Arbeit „Die Toten“ gebildet. „Das Bemühen, den RAF-Zyklus zu bekommen, hätte allein schon unsere ganze Zeit und Finanzkraft gekostet“, war damals die Erklärung. Zudem sollte die RAF-Ausstellung ja ursprünglich im Sommer 2004 gezeigt werden: Damals war der Richter-Zyklus ohnehin in Berlin, wenige S-Bahn-Stationen entfernt, bei der MoMA-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Jetzt zeigen die Kunst-Werke wenigstens einige Blätter aus Richters legendärem Bildatlas, der ebenfalls RAF-Motive enthält.

Was Düsseldorf und Berlin nicht gelang, haben nun die Dresdner Kunstsammlungen bewerkstelligt. Neun Monate lang wird der gesamte RAF-Zyklus in der Galerie Neue Meister im Albertinum gezeigt, gemeinsam mit zwei weiteren Richter-Werken, dem Wandbild „Gelber Strich“ und einer jüngeren Arbeit, „11 Scheiben“. Der Coup ist das Ergebnis einer Notlage: Eigentlich sollte das dringend renovierungsbedürftige Albertinum schon ab Frühjahr zum Umbau geschlossen sein. Allein, ein Widerspruchsverfahren von Stephan Braunfels gegen die Architektenausschreibung – inzwischen im Sinne des Erstgewinners entschieden – verzögerte den Umbau. Die rund 40 Richter-Dauerleihgaben jedoch, mit denen das Albertinum im August 2004 eröffnete, sind inzwischen schon wieder auf Reise, zur Zeit auf Tournee in München und Japan.

Und noch eins: Auch bei der glanzvollen Wiedereröffnung des erweiterten Museum of Modern Art in New York war Gerhard Richters Zyklus nicht dabei. Einzig das Abschlussbild, „Beerdigung“ von 1988, wurde gezeigt, allerdings war es ungünstig gehängt. Zwar hatte Richter der Einzelpräsentation zugestimmt, doch er sagt jetzt: „Es war ein Versuch, und es hat nicht geklappt.“ Vielleicht habe diese Erfahrung das MoMA nun bewogen, der Leihgabe nach Dresden zuzustimmen.

Denn sie ist eine große Ausnahme. Eigentlich herrscht während der Wiedereröffnungsphase in New York ein absoluter Ausleihstopp, bis alle Bilder wieder zurück im Stammhaus sind, berichtet Martin Roth, Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Was am Ende den Ausschlag gab – womöglich ein Inkognito-Besuch von MoMA-Chef Glenn Lowry in den Dresdner RichterRäumen – ist nicht zu klären. Immerhin: Anders als die Berliner MoMa-Gastgeber zahlt Dresden keine Leihgebühr. Und: Gerhard Richter stammt aus Dresden und entwickelt in letzter Zeit wieder eine stärkere Bindung zu seiner Geburtsstadt. Sein RAF-Zyklus, der sich auch mit deutscher Erinnerungskultur beschäftigt, erhält in der Elbstadt, die unlängst durch den Streit um das Gedenken an die Opfer der Bombardierung in die Schlagzeilen gekommen war, noch einmal anderes Gewicht.

Dass das Thema RAF in Deutschland nicht präsent sei, kann angesichts der Diskussionen um die Berliner Ausstellung niemand behaupten. Aus der Dresdner Perspektive nimmt sich der Streit aber noch einmal anders aus. Man habe am Vorabend der Eröffnung gemeinsam mit dem Künstler heftig diskutiert, erzählt Roth: über die Frage, wie die RAF in der DDR öffentlich wahrgenommen wurde. Wusste man, dass westdeutsche Terroristen wie Inge Viett hier Unterschlupf gefunden hatten? Waren Filme wie Margarethe von Trottas „Die bleierne Zeit“ hier zu sehen? Richter selbst sagt: „Die bleierne Zeit hatte ich nach meiner Umsiedlung in die BRD gerade hinter mir.“ Für jemanden, der aus der DDR in den Westen kam, war die Intonierung der Diskussion um Radikalenerlass, Straßensperren und das Gefühl, sich nicht mehr bewegen zu können, an die Roth sich noch eindringlich erinnert, nicht nachvollziehbar gewesen.

Deshalb gab Richter den RAF-Zyklus 1995 nach Amerika, ans MoMA. „Ich war damals sehr froh, dass der Zyklus nicht in Deutschland blieb“, erzählt er in Dresden. Die Westdeutschen seien zu betroffen gewesen, „in jedem Bild sahen sie gleich einen Bekannten.“ Er selbst aber habe mit seinen Bildern, die bis in die Titel – „Gegenüberstellung“, „Tote“ oder „Erschossener“ – bewusst allgemein gehalten sind, etwas anderes beabsichtigt. Trauerarbeit, ja: aber Trauer um eine ganze Gesellschaft.

Was aber, wenn das Thema hierzulande, fast 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst, die Öffentlichkeit immer noch bewegt und spaltet wie kaum ein anderes? Was, wenn der deutsche Terrorismus in den USA – die lieblose Präsentation im MoMA-Neubau beweist es – angesichts ganz anderer weltgeschichtlicher Bedrohungen kaum auf ähnliches Interesse stößt? Vielleicht wäre es doch Zeit, über eine Rückkehr zumindest als Dauerleihgabe nachzudenken. Die Dresdner Präsentation ist – nach dem Berliner Intermezzo – ein weiterer Schritt dahin.

Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden, bis 31. 12., tägl. außer dienstags, 10 – 18 Uhr. Katalog (Reprint des ersten Katalogs von 1989) 14 €, im Buchhandel 19,80 €

Christina Tilmann

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