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Kultur: Der Parvenü verlässt uns nie

Katharina Thalbach spielt „Frau Jenny Treibel“: eine virtuose Fontane-Adaption im Potsdamer Palais

Es sind keine Fackeln, nur goldgelbe Scheinwerfer, die den Aufgang über die herrschaftliche Freitreppe erhellen. Aber am Eingang empfangen uns Diener in schwarzer Livree, das Vestibül zieren Oleander, eine Rotunde, in der Weine und Sekt gereicht werden, nimmt sogleich ein mit feiner beige-grüner Illusionsmalerei, der Hausherr, Kommerzienrat Treibel, begrüßt seine Gäste: uns Heutige und die jetzt eintreffenden Damen und Herren in Seide, Tüll und Frack.

Dann geht es in den Rokoko-Salon, wo unter Kronleuchtern und Kerzenschein 13 bei Tische sitzen und leibhaftig dinieren werden. Und wir 90 Zuschauer bilden die lebende Kulisse. So lädt das Hans-Otto-Theater in Potsdam ein in ein spätbarockes Palais gegenüber dem Heiligen See und Neuen Garten. Potsdams neuer Intendant Uwe Eric Laufenberg hat hier „Frau Jenny Treibel“ inszeniert, eine Dramatisierung von Theodor Fontanes Roman aus dem Jahr 1892.

Romanadaptionen sind seit einigen Jahren als Ausweichspiel ebenso beliebt wie die Exkursionen der Bühnen in ehemalige Fabriken, Kirchen, Paläste – der Monarchien oder der Republik. Wird dabei ein Roman aus versunkenen Zeiten zum Kostümstück am imaginär authentischen Ort, dann kann das Kerzenlichttheater ganz schnell zum inwendigen Freilichttheater werden. So museal wie Ritterdramen in der Burgruine.

Von diesem Anhauch des Altbackenen aber bleibt Laufenbergs Ausflug mit Fontane fast völlig frei. Das liegt schon an der souveränen Ironie des Abends, in dessen Zentrum die von Katharina Thalbach verkörperte Titelheldin steht und fällt und siegt. „Frau Jenny Treibel“ ist Fontanes witzigstes Buch. Ein wilheminischer Unterhaltungsroman: die Satire auf bürgerliche Familien-Politik.

Den Köpenicker Blausalzlaugen-Fabrikant Treibel zieht es in den Wahlkampf für die „Royaldemokratie“, und seine Frau Jenny, eine geborene Bürstenbinder, zieht die Ehe- und Heiratsfäden. Privat schwärmt die poetische Parvenüse von den Musen und Künsten, doch familienpolitisch untersagt sie ihrem schwächlichen Sohn Leopold die Verlobung mit der emanzipierten, charmanten, aber vermögenslosen Lehrerstochter Corinna. Einst hatte Fräulein Jenny Bürstenbinder schon Corinnas Vater als wahren Geliebten verraten, jetzt verkauft Frau Jenny Treibel den Sohn an eine hanseatische Partie mit Geld statt Geist.

Laufenbergs Dramaturgin Anne-Sylvie König hat Fontanes dialogreiche Geschichte klug gerafft. Jetzt begibt sich alles an einem Abend bei der Soiree im Hause Treibel (die bei Fontane nur die Exposition darstellt). Anfang und Ende finden statt im großen Salon, dazwischen verteilt sich das Publikum in drei Gruppen auch auf das Vestibül und das holzgetäfelte Musikzimmer, in dem ein Pianist am Blüthner-Flügel spielt. Bestimmte Szenen werden simultan gegeben und von den Akteuren für die jeweils wechselnden Zuschauer wiederholt, so dass jeder alles sieht, aber nicht in der gleichen Reihenfolge. Das ist von der Regie logistisch virtuos, wie mit Filmschnitten arrangiert.

Natürlich sorgt da das Interieur des 1796/97 für die Geliebte Friedrich Wilhelm II. gebaute Lichtenau-Palais für einen eigenen Reiz. Das geschmackvolle Haus wird konterkariert durch den Bürgerpomp der wilhelminischen Aufsteiger – und Fontanes Sottisen. Eine gereifte Dame findet es schade, dass ausgerechnet „die Jugend in der Jugend stattfindet“. Oder das Urteil über einen Politiker: Er könne doch nur „als Warnschatten“ dienen für die Prinzipien, die das Pech haben, „von ihm vertreten zu werden“. Geschickt eingeflochten werden in König-Laufenbergs Fassung dazu Andeutungen eines frühen Ost-West-Konflikts: zwischen neureichem Köpenick und altblasiertem Charlottenburg.

Diesen Fontaneschen Witz servieren die Potsdamer Spieler wunderbar trocken, wie die Diener den Wein – wobei das Personal auch die spöttischen epischen Kommentare spricht, während derer die Hauptdarsteller dann zu lebenden Bildern erstarren. 20 Akteure, und nicht nur Katharina Thalbachs busenbebend hochgeschnürte Frau Jenny, treffen im Wechsel mit sanft elegischen Untertönen, altmädchenhaftem Schalk und derber, dragonerhafter Biestigkeit den Fontaneschen Ton. Allen anderen voran sind auch Roland Kuchenbuch als Treibel, Adina Vetter als aufbegehrende Corinna, Anne Lebinsky als Treibelsche Schwiegertochter oder der souverän amüsante Chefdiener Jochen Röhrigs zu rühmen.

Es ist eine Welt, wo am Damenpo noch der Cul de Paris hängt und die Herren die Hemdbrust zwängt, aber die Herzen und Hirne schon Mieder und Biederes sprengen. Mit dieser Zeitreise bietet Laufenbergs einfallsreich erneuertes Potsdamer Theater eine Attraktion. Alle Januar-Vorstellungen sind bereits ausverkauft, später soll die Inszenierung in eine der bis zur Eröffnung des neuen Potsdamer Theaters (im Sommer 2006) genutzten Reithallen wechseln. Eine Rückkehr ins Palais aber wäre am schönsten.

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