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Kultur: Der Phongott tanzt

Hilfe, Polizei! Berlins Freunde Guter Musik feiern 20. Geburtstag

Los geht’s, Freunde. So, wie wir es prophezeit haben, immer den Spuren von lebendiger Musik nach, Musik, bevor sie verschlissen wird und missbraucht. Angefangen hat alles mit dem finsteren Glenn Branca aus New York. Als sich im Mai 1983 für die Aufführung der 4.Symphonie des brachialen Gitarrensymphonikers kein Veranstalter finden wollte, nahm ein kleiner Kreis um Matthias Osterwold das Heft t in die Hand und gründete spontan den Verein „Freunde Guter Musik Berlin e.V.“. Aus dem Konzert wurde ein Festival, und der viel beachtete Einstand ermutigte die Freunde weiterzumachen.

Rund 380 Konzerte und Veranstaltungen haben sie inzwischen durchgeführt: unerhörte Abenteuer zwischen E und U, Minimalismus und Rock, Neuer Musik und Noise und Fun und allem, was jenseits der durch Medienrauschen und etabliertes Musikgeschäft okkupierten Gebiete liegt – darunter Highlights wie Brian Enos „Music for Airports“ im Flughafen Tegel, das 22-stündige Eric-Satie-Spektakel „Vexations“ im damals noch leer stehenden Hebbel-Theater oder Christian Marclays Simultankonzertmix in einem Straßenbahndepot.

Auch für ihr 20. Jubiläum haben sich die Freunde mit der St.Elisabeth-Kirche wieder einen ungewöhnlichen Spielort ausgesucht, von dem nur noch die Fassade steht. Die aber hat ein frisches Dach, und der Boden ist mit Sand gefüllt. Der feudale Schinkel-Bau könnte kaum besser gewählt sein für das Sonderprogramm, das noch bis zum 4.10. läuft. Zu Beginn steht die Wiederbegegnung mit Glenn Branca, der seit der Vereinsgründung im 5-Jahres-Zyklus eingeladen wird. Diesmal wird seine „Symphonie No.14“ uraufgeführt: ein Auftragswerk für zwei Gitarren, Bass und Schlagwerk, mit dem der Meister des Mikrointervalls und der Obertontechnik nochmals seine alten Ideen zelebriert.

Da steht er in Jeans und Holzfällerhemd. Schnell steckt er sich noch eine Zigarette an und leert mit kräftigen Zügen eine Whiskyflasche, bevor er zu einer spiegelbildlich zusammengebauten Doppelgitarre greift und mit heftigem Feedback in breitbeiniger Neil-Young-Rockerpose in das repetitive Gitarrenklingeln einsteigt, das seine Mitstreiter verursachen: dynamischer Tanz des Phongottes zu singenden Sägen und bulligen Rückkopplungen, die durch die offenen Kirchenfenster in die Nacht donnern. An Volumen und Intensität ist das atemberaubend und unausweichlich ansteigend – fast nicht auszuhalten. Und doch wirkt diese Musik unendlich anmutig.

Bis nach einer guten halben Stunde Feinde der Guten Musik in grüner Uniform in die Kirche stürmen und die Bühne entern, wo sie dem Zeremonienmeister an der jaulenden Monstergitarre mit einer Stabtaschenlampe ins Gesicht leuchten, als letzte Aufforderung, die öffentliche Ruhestörung zu beenden. Auweia! Der Ärger könnte kaum größer sein. Andererseits wurde so zumindest das Problem gelöst, die Spannung endloser Musik aufzulösen: Einfach die Polizei rufen! Zugriff! Gloria! Sanctus! Aus! Was für Musik! Ausstöpseln! Anstöpseln! Durchstöpseln! Und dann die Getränke.

Wenn alles gut geht, singt heute die 80-jährige Meistersängerin Michiko Hirayama ein Stück von Giacinto Scelsi. Und der sardinische Männerchor „Tenores di Bitti“ bringt mehrstimmige Lieder zu Gehör.

Weitere Veranstaltungen bis 4.10. Infos unter www.freunde-guter-musik-berlin.de

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