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Kultur: Der Rest vom Familienfest

Das Hamburger Thalia Theater sonnt sich im Erfolg – am Schauspielhaus sind alle Fragen offen

Das Thalia Theater hat guten Grund zum Feiern. Eine überaus erfolgreiche Spielzeit geht zu Ende, nach drei Einladungen zum Berliner Theatertreffen, wo die Schauspielerinnen Fritzi Haberlandt und Susanne Wolff mit Preisen geehrt wurden. Doch heute feiern wir nicht etwa des Intendanten Ulrich Khuon Glück und Geschick, sondern einen runden Geburtstag, Helges 60. Hans-Christian Rudolph tritt auf und gleich zum Mikrofon. Macht einen Soundcheck für die bevorstehenden Festreden, während sein Bruder Leif (Harald Baumgartner) sich an der Videokamera versucht. Es gelingt, und Helge erscheint als dogmareifes Wackelbild auf der weißen Bühnenwand. Die Technik ist o.k., die Gäste können kommen. Vor allem die mehr oder weniger missratenen und – wie sich noch herausstellen soll – sexuell missbrauchten Sprösslinge. Zur Spieluhrmusik von Michael Verhovec dreht sich die Bühne und öffnet das Blickfeld auf einen sehr hohen, weiß in weiß gehaltenen Festsaal. Er ist mit einem Dutzend Arne-Jacobsen-Modellen bestuhlt (Bühne: Katja Haß), denn schließlich inszeniert Stephan Kimmig nicht irgendein, sondern „Das Fest“. Den Kultfilm des dänischen Filmdogmatikers Thomas Vinterberg. Den Cannes-Erfolg von 1998.

Die Darsteller spielen so gut, dass einem die Geburtstagsgesellschaft mit ihrem Familieneklat auf den Leib rückt. Doch die Inszenierung erreicht dann doch nicht, trotz drehender Bühne, wechselnder Schauplätze und direkter Publikumsansprache, den Grusel, die Dichte und Vielschichtigikeit der Filmvorlage. Dass Vater Helge böse ist, weiß nach wenigen Minuten jedes Kind, und dass Sohn Michael (Peter Jordan) ein chauvinistischer Schnellficker ist, ebenfalls. Stephan Kimmig erzählt das Psychodrama allzu eindimensional.

So dämpft diese letzte Produktion vor der Sommerpause ein klein wenig den Jubel um das Haus am Alstertor. Um diesen viel versprechenden Regisseur, der mit Ibsens „Nora“ gestrahlt hat, und um den Intendanten Ulrich Khuon, der doch alles so richtig gemacht hat. Einem Intendanten, der sich auf sein hervorragendes Ensemble und eine Hand voll so interessanter wie solider Regisseure verlassen kann, und dessen Besucherzahlen und Einnahmen stetig steigen. In der kommenden Spielzeit geht es weiter mit Kimmig, Thalheimer, Kriegenburg und Kollegen. Unter dem Stichwort Familiengeschichten. Gar nichts Neues. Eigentlich. Und trotzdem ahnt man, dass es spannend wird.

Am Deutschen Schauspielhaus wird es ebenfalls spannend. Denn hier diskutiert Kultursenatorin Dana Horáková bereits schamlos und öffentlich über einen Nachfolge-Intendanten ab der Spielzeit 2005/06, im Gespräch sollen Matthias Hartmann (Bochum) oder Martin Kusej sein. Tom Stromberg sei, so sagt sie offen, „uninspirierend“. Dabei hat auch Stromberg sich redlich bemüht mit seinen Regisseuren Jürgen Gosch und Jan Bosse oder Sebastian Hartmann. Doch ist höchstens Gosch in diesem Reigen einer, dessen Minimalismus man gerne wiedersieht.

So wie jetzt in Shakespeares „Wie es euch gefällt“. Hier mimt das Ensemble mit Hingabe und Blöken eine Schafherde inklusive Hund, imitiert herzhaft Wald- und Wiesengeräusche, arbeitet sich an einem riesigen Sandberg ab (Ausstattung: Johannes Schütz) und radelt freudig auf alten Hollandrädern umher. Rosarot verliebt (herrlich verlegen: Mira Bartuschek als Rosalinde und Alexander Simon als Orlando) sind sie sowieso. Die Schauspieler zeigen nicht nur sportiven Höchsteinsatz, sie sprühen vor überrumpelnder Spiellust und schier endloser Energie. Feinsinnig, wenn auch ein wenig lang, erzählt Gosch Shakespeares Verwicklungskomödie und transportiert mit einfachen Mitteln alle Gefühle dieser Welt. Die Ensembleleistung ist herausragend.

„Es geht ja doch, Herr Stromberg!", möchte man laut rufen. Denn es verwundert schon, warum sich Stromberg nicht stärker auf sein begabtes Ensemble verlässt. Stattdessen will er mit Gästen glänzen und Jungstars wie Robert Stadlober oder Nora Tschirner, verzettelt sich in Spielorten, kleinen Uraufführungen, Popkonzerten sowie politisch sehr korrekten Alternativ-Veranstaltungen. Es scheint, dieser Intendant möchte moderner als modern und stets jedem Trend voraus sein. Doch das ist bisher noch keinem gelungen.

Die launige Shakespeare-Komödie beschließt Rosalinde verheiratet und glücklich. Nach allen Turbulenzen, Verstellungen: Shakespeares Epilog ist voller Zuversicht. Stromberg selbst auch. Ginge es nach ihm, bliebe er bis 2008. So lautet sein Angebot. Höchst ungewiss ist die Nachfrage.

Katrin Ullmann

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