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Kulturpolitik: Der Stadtgeist

Erneuerer der Kulturpolitik: Zum Tod von Jürgen Kolbe.

Wie einst Hilmar Hoffmann für Frankfurt am Main hat Jürgen Kolbe für München die städtische, die großstädtische Kulturpolitik neu erfunden. Open- Air-Konzerte in der Innenstadt, die heiß umstrittene Installation von Joseph Beuys „Zeige deine Wunde“ in einer Münchner Fußgängerunterführung, die politisch-philosophisch-biographischen „Reden über das eigene Land“ im Theater oder über „Gott und die Welt“ andernorts, eine schrottreife ehemalige Kaserne in ein cooles, multimediales Kulturzentrum zu verwandeln – vieles, was heute von Berlin bis Wien als ganz selbstverständlich gilt, geht auf seinen Initiativgeist zurück.

Der 1940 in Dessau geborene, in Essen aufgewachsene Jürgen Kolbe war eines der Nordlichter, die München auch nach dem kurzen olympischen Boom von den 1970er Jahren an leuchten ließen. Und schon sein Start als Kulturreferent (von 1976 bis ’88), glich einer Sensation: Acht Jahre war der promovierte Germanist ein wirkungsvoller, aber nur in Kulturkreisen bekannter Lektor im Münchner Carl Hanser Verlag gewesen. Mit dem heutigen Verlagschef Michael Krüger entwickelte Kolbe die einst berühmte, Literatur, Politik, Film und Medien reflektierende „Reihe Hanser“ oder veröffentlichte das erste Buch von Walter Kempowski. Dann plötzlich der Sprung ins Offene.

Parteilos und mit nichts als Ideen im Kopf wechselte Kolbe in die Politik, gewann die Stimmen im Stadtrat und bald mehr als nur das Vertrauen des damaligen Münchner SPD-Oberbürgermeisters Georg Kronawitter. So überlebte er im traditionell rot-weißblauen München auch einen kurzfristigen Machtwechsel von der SPD zur schwarzen CSU. Als Unabhängiger, Unersetzlicher.

Er holte Sergiu Celibidache, der Münchens Symphoniker an die Berliner heranspielte, oder stiftete Hans Werner Henze an zur Münchner MusikBiennale. Später, als nach seiner Amtszeit der neue Großflughafen in München-Erding eröffnet wurde, wanderten hunderttausende Passagiere jahrelang an Jürgen Kolbes Porträt vorbei. Er war da, ohne Namensnennung, in einer die Abflugswege zierenden Foto-Strecke zu sehen: lachend unter lauter jungen Leuten aus allerlei Ländern vor Gemälden der Alten Pinakothek, ein Schnappschuss, fast privat. Der große Macher wie ein Passant, im Pullover, ein wenig bullig, so vital und herzlich ausstrahlend, wie es seine Lebensart war.

Doch die äußere Imposanz täuschte. Jürgen Kolbe, der mit sanfter Stimme sprach, war auch ein verletzlicher Mensch, mit angegriffenem Herzen. Ihm verdankt sich das wunderbare Ausstellungsbuch über Thomas Manns Münchner Jahre, der „Helle Zauber“; und zuletzt noch eine ingeniöse Schau über „Wagners Welten“ im Münchner Stadtmuseum. Jetzt ist er mit 67 Jahren in München gestorben, viel zu früh. Peter von Becker

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