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Kultur: Der Tag danach

Moshe Zimmermann über Bilder vom Krieg

Moshe Zimmermann, Tel Aviv, schreibt abwechselnd mit Abbas Beydoun, Beirut Auch der Außenseiter, nicht nur Mr. Durchschnitts-Israeli, wird im letzten Beitrag Abbas Beydouns wesentliche Elemente vermisst haben – die Raketen, die aus dem Libanon auf den Norden Israels abgefeuert werden, um dort Zivilisten zu töten, die verheerende Rolle, die Syrien und der Iran in der jüngsten Geschichte Libanons spielen, den religiösen Fanatismus, der die Politik blockiert. Das konstatiere ich, ohne daraus einen Vorwurf zu machen. Denn angesichts der katastrophalen Ereignisse im Nahen Osten neigen auch die Gutwilligen zu Einseitigkeit: Israelis sind auf dem einen Auge blind, Libanesen (und andere Araber) auf dem anderen. Jeder hat seine Wahrheit.

Da versuchen die Kontrahenten, die Weltöffentlichkeit anzurufen, hoffen auf Sympathie oder sogar Hilfe. Nur ist auch diese Öffentlichkeit oft auf ihre Art einseitig, aus Ignoranz auf beiden Augen blind, oder sie sieht nur das, was ihre Vorurteile bestätigt und ihr Gewissen beruhigt.

Ein Beispiel. Das in den Medien so übliche Fotopaar – israelische Soldaten im Gebettuch vor dem Hintergrund gewaltiger Panzer auf der einen Seite (als bildliche Zusammenfassung des Themas Israel im Krieg) und weinende libanesische Frauen in traditioneller Kleidung auf der anderen Seite (als Essenz des anderen Lagers) – wird nicht ohne Absicht verwendet. Man könnte auch das Fotopaar Hisbollahkämpfer mit Koran und israelische Patienten im zerbombten Krankenhaus von Naharia zeigen. So aber täuscht man nur den hilfsbereiten „Gutmenschen“ vor, bedient sich der Klischees aus einem gefährlichen Arsenal und trägt nicht zur Waffenruhe bei.

Anscheinend geht es dem europäischen „Gutmenschen“ um die bekannte Devise – Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Ergo muss erst einmal Ruhe im Nahen Osten geschaffen werden, bevor die Unruhe sich ausdehnt. Was für Europäer wichtig zu sein scheint, wegen des Ölpreises, versteht sich. Doch darf man dabei folgende Frage nicht ignorieren: Weshalb kam es überhaupt zur Unruhe? Was hat Beydouns Hinweis auf den israelischen Kolonialismus mit dem Libanonkrieg zu tun? Oder: Bedeutet Ruhe im Libanon auch Ruhe für Palästina? Wieso agiert die internationale Gemeinschaft immer erst nach der Katastrophe und nicht vorher?

Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird die Wiederherstellung der Ruhe. Die Kontrahenten finden den Weg nicht, aus dem Krieg auszusteigen, weil keine Seite ihr Gesicht verlieren darf. Die internationale Gemeinschaft und ihre Medien zeigen sich bestürzt und scheinheilig, fragen simplifizierend, wie man die Kampfhandlungen von heute auf morgen stoppen kann, bieten jedoch kaum systematische Lösungen an.

Die sogenannte Weltöffentlichkeit sollte sich mit der von Abbas Beydoun gestellten Frage nach dem „Tag danach“ ernsthaft befassen. Die wutblinden, festgefahrenen Kontrahenten im Nahen Osten haben sich darüber noch keine ernsten Gedanken gemacht. Das ist der Kern der Sache: Was bleibt? Nur Hass und Ruinen? Wie kann man endlich den Bellizismus entkräften? Und wie verteilt man die Kosten für den Wiederaufbau? Die Stationierung einer UN-Truppe ist eine Marginalie. Nur eine unparteiische und engagierte internationale Gemeinschaft kann dabei helfen, am „Tag danach“ die regionale Kooperation und nicht den Revanchismus zu fördern.

Der Autor lehrt Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem.

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