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Kultur: Der Textbeschaffer

Rainer Moritz über die Methoden des Professors Krämer Wenn es darum geht, das deutsche Bildungssystem zu beklagen, gehört es zum guten Ton, sich über die mangelnde Arbeitsmoral beamteter Hochschullehrer zu mokieren. Diese wohlfeile Professorenschelte übersieht, dass die Berufsgruppe auch leuchtende Exempel unbeirrbarer Umtriebigkeit und Schaffenskraft hervorgebracht hat – Menschen, die nicht nur ihren Lehr und Forschungsverpflichtungen vorbildlich nachgehen, sondern ihre Zeitgenossen überdies mit den Früchten ihrer fachfremden Aktivitäten beglücken.

Rainer Moritz über die Methoden

des Professors Krämer

Wenn es darum geht, das deutsche Bildungssystem zu beklagen, gehört es zum guten Ton, sich über die mangelnde Arbeitsmoral beamteter Hochschullehrer zu mokieren. Diese wohlfeile Professorenschelte übersieht, dass die Berufsgruppe auch leuchtende Exempel unbeirrbarer Umtriebigkeit und Schaffenskraft hervorgebracht hat – Menschen, die nicht nur ihren Lehr und Forschungsverpflichtungen vorbildlich nachgehen, sondern ihre Zeitgenossen überdies mit den Früchten ihrer fachfremden Aktivitäten beglücken. Ein solcher Prachtkerl ist beispielsweise Walter Krämer, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund (ja, die gibt es). Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit, die ihm – wie er via Unihomepage verrät – mehrere Rufe anderer Hochschulen einbrachte, amtiert Krämer als Vorsitzender des Vereins Deutscher Sprache, der Kreuzzüge gegen die grassierenden Anglizismen führt, und schreibt ein Buch nach dem anderen.

Mit seinem 1996 erschienenen „Lexikon der populären Irrtümer“ erlangte Krämer Bestsellerruhm, den er seitdem in jährlich bis zu fünf neuen Publikationen zu pflegen sucht. Alle Produktivität scheint indes nicht zu verhindern, dass die Quelle seines Einfallsreichtums gelegentlich zu versiegen droht und er so gezwungen wird, sich anderweitig umzusehen. Walter Krämers neues (zusammen mit Töchterlein Eva verfasstes) Werk gehört in diese Kategorie: Das „Lexikon der Städtebeschimpfungen“ (Eichborn) versammelt alphabetisch geordnet literarische und journalistische Schmähreden, die Gemeinden wie Aachen oder Zweibrücken ins Visier nehmen. Eine amüsante Idee – eine, die bereits vor Jahren von Jürgen Roth und Rayk Wieland in ihren trefflichen Stadtkritik-Bänden „Öde Orte“ (Reclam Leipzig) umgesetzt wurde, gleichfalls alphabetisch.

Mag man diese Inspiration nur peinlich finden, so zeigt der Blick ins Innere, wie schamlos die Dreistigkeit waltet: Obwohl das Cover so tut, als seien Vater und Tochter selbst die Autoren, reiht sich hier unkommentiert Textstück an Textstück – verfasst von wehrlos-toten Dichtern wie Heine, Goethe oder Storm bis zu Gegenwartsautoren wie Robert Gernhardt, Ralph Giordano, Horst Krüger, Eckhard Henscheid oder Enzensberger. Auch aus den „Öden Orten“ hat man sich über 30 Mal bedient, wenngleich man in der Eile leider vergaß, diese so anregenden Titel in die dürftige Auswahlbibliografie aufzunehmen. Damit nicht genug: Autor und Verlag haben keinen Gedanken darauf verschwendet, die erforderlichen Abdruckgenehmigungen einzuholen. Das Urheberrecht ist hier jedoch unmissverständlich, und so entpuppt sich Professor Krämers Machwerk als plumpes ABC des permanenten Rechtsbruchs.

Rechte einholen und dafür bezahlen, das ist teuer und mühsam. Und wenn uns, so dachte man sich in der familiären Schreibwerkstatt, gar nichts mehr einfällt, dann gehen wir ins Internet, wo ohnehin alles umsonst zu haben ist. Zahlreiche Städtetiraden tragen folglich den köstlichen Quellenvermerk „Aus dem Internet“, obwohl es oft ganz leicht gewesen wäre, die Namen der Autorinnen und Autoren herauszufinden, was aber wiederum Aufwand und Kosten nach sich gezogen hätte. Der Danksagungshinweis „Es war nicht immer leicht, an diese Texte heranzukommen“ muss den ausgebeuteten Urhebern wie Hohn in den Ohren klingen.

Überhaupt ist das „Lexikon der Städtebeschimpfungen“ mit heißester Nadel gestrickt: Die juristische Unbekümmertheit findet ihre Entsprechung in einem betont laxen Umgang mit Namen und Daten. Patzer wie Eduard Möricke, Egon Fridell oder Hans Christo Buch gehören zur Tagesordnung. Anstatt ordentlich Korrektur zu lesen, saß Autor Krämer vermutlich schon wieder am nächsten Werk, einem Almanach der Schludrigkeiten vielleicht oder woran auch immer. Eigene Werke führt er sich ohnehin nur ungern zu Gemüte. Denn andernfalls wäre es von Nutzen gewesen, die Studieneinführung „Wie schreibe ich eine Seminar- und Examensarbeit?“ zur Gänze zu rekapitulieren. Passagen zu „Wie recherchiere ich mittels EDV?“ wurden offenkundig sofort umgesetzt, wohingegen die Einlassungen zu „Worauf kommt es beim richtigen Zitieren an?“ eher oberflächlich wahrgenommen wurden. Mitautorin Eva jedenfalls, die in Hamburg Medienwissenschaften studiert, sollte sich nicht allein an väterlicher Praxis orientieren. „So lügt man mit Statistik“ heißt eines der Krämerschen Erfolgsbücher. Interessant.

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