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Kultur: Der traditionelle Stoff erlebt in Berlin ein Comeback

Eva Endruweit ist kaum zu bremsen. Einmal auf ihre Passion, Leinen, angesprochen, erzählt sie von seiner 5000jährigen Geschichte, berichtet davon, dass nur die Priester im alten Ägypten Leinengewänder tragen durften und auch die Damengewänder der römischen Oberschicht aus dem Flachsgespinn gefertigt waren.

Eva Endruweit ist kaum zu bremsen. Einmal auf ihre Passion, Leinen, angesprochen, erzählt sie von seiner 5000jährigen Geschichte, berichtet davon, dass nur die Priester im alten Ägypten Leinengewänder tragen durften und auch die Damengewänder der römischen Oberschicht aus dem Flachsgespinn gefertigt waren. Endruweit hat aus ihrer Leidenschaft einen Beruf gemacht und in Mitte, nahe der Synagoge in der Oranienburger Straße, ihr "Leinenkontor" eröffnet. Gerade ist neue Ware eingetroffen und Stoffballen türmen sich überall. Man wähnt sich ins letzte Jahrhundert zurückversetzt, als der naturbraune Stoff noch für die Ewigkeit oder zumindest die nachfolgende Generation gekauft wurde. Neben der "Guten Stube" war damals der ganze Stolz einer Hausfrau ihr Wäscheschrank, in dem mit einem Wäschebändchen zu kleinen Haufen gebundene Bettwäsche- und Handtuchstapel zur gefälligen Bewunderung dem Besucher präsentiert wurden.

Endruweit ist von Beruf Textildesignerin und hat zunächst in Burg Giebichenstein in Halle / Saale, der einzigen Modeschule der DDR, Textil- und Modedesign studiert, bevor sie an die Kunsthochschule Weissensee wechselte. Gleich nach dem Studium ist sie zu einem Wäschefabrikanten an den Bodensee gegangen. "Da habe ich es aber nicht lange ausgehalten", berichtet die umtriebige Berlinerin. Die Hierarchien und feste Bürozeiten haben ihr den Job verleidet. Schließlich müsse man als Textildesigner ständig mit Notizblock und Fotoapparat bewaffnet durch die Gegend streifen, um Ideen, Stimmungen und Farbigkeiten festzuhalten. Und jetzt also Laden und Atelier im Zeichen der Flachspflanze.

Franz Rudolph vom sächsischen Leinenverband brachte sie auf die Idee und half beim Konzept. Ausschlaggebend waren aber zwei Dissertationen aus den 20er Jahren, angefertigt im Auftrag des alten Berliner Leinenhauses Grünfeld, das als jüdischer Betrieb von den Nazis 1938 arisiert wurde und dann schloss. "Da habe ich erst einmal eine Ahnung von dem damaligen Sortiment bekommen und den hohen Qualitätsstandards. Bei Grünfeld wurde nur bestes Leinen verkauft", sagt Endruweit.

Ein Teil ihrer Kollektion aus Bettwäsche, Handtüchern, Tischdecken, aber auch Hemden und Blusen, kommt wie damals aus der Oberlausitz, dem deutschen Zentrum der Leinenverarbeitung. Doch auch in Litauen und Österreich, wo die schweren Damast-Tischdecken herkommen, wird gefertigt.

"Zurück zu den Ursprüngen", benennt sie die Faszination des Stoffes mit der ehrwürdigen Kulturtradition. Wegen seines Hangs zum Knittern aus der Mode gekommen, erfreut er sich wegen seines festen Griffes und seiner Langlebigkeit wachsender Beliebtheit. Die Naturfaser nimmt Wasser besser auf als Baumwolle und die mit großen Frotteeschlingen gewebten naturgrauen Handtücher erinnern einen an die Zeiten von Heidi, die ihr Gesicht mit dem groben Handtuch ihres Großvaters rot und warm rubbelte.

"Leinen wird mit der Zeit immer schöner", sagt Endruweit. Besonders die Damastbindung der Tischdecken, die durch die lang laufenden Leinenfäden matt glänzen, gewinnen durch häufiges Waschen noch an Glanz. Gleiches gilt für ihre Kissenüberzüge und die Stuhlhussen. Wer mit dem Stoff nichts anfangen kann, findet aber auch ausgefallenes Porzellan im "Leinenkontor". Die in dünnwandigem, elfenbeinfarbigem Porzellan ausgeführten Teller und Tassen von Tsé & Tsé verraten die Handarbeit durch ihre individuellen Unregelmäßigkeiten, die auch den Lampenschirmen ihre eigenwillige Eleganz verleihen.

Als ob der neue Laden ihr nicht schon genug Arbeit aufhalst, hat Eva Endruweit schon ihr nächstes Projekt parat: Sie will den nur noch in zwei Ausgaben in Berlin erhältlichen Band der "Ökonomischen Enzyklopädie" von Johann Gottfried Krünitz aus dem Jahr 1782 neu herausgeben, der die umfassenste Materialsammlung zur Geschichte und Verarbeitung von Leinen geschrieben hat.

Der alte Krünitz dient ihr auch für ihre Weihnachtsidee: Ein Spiel, das mit den verschiedenen Arbeitsschritten der Leinenverarbeitung vertraut macht. Doch ihr liebstes Stück zeigt Endruweit nur zögernd: Das leinene Geschirrtuch ihrer Großmutter schenkte ihr eine Tante zur Ladeneröffnung. Wie um die Worte der neuen Besitzerin über die Langelebigkeit von Leinen zu beweisen, strahlt es noch nach fast 100 Jahren jene souverän-glänzende Gelassenheit aus, die nur das Altern verleiht.Leinenkontor, Berlin-Mitte, Tucholskystr. 22, Telefon und Fax: 28 39 02 77

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