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Kultur: Der Traum vom Kommunismus Rudolf Bahros Biografie –

ein Gespräch mit Volker Braun

„Ich habe den Anstoß gegeben, jetzt denkt es in der DDR. Jetzt gehe ich dem Kapitalismus an den Kragen." Das sind Sätze aus dem inneren Monolog, den Guntolf Herzberg in „quellenmäßig gesicherter literarischer Fiktion“ seinem Helden Rudolf Bahro in den Kopf legt. Bahro könnte sie gedacht haben, als er, eskortiert von der Staatssicherheit, im Herbst 1979 aus dem Bautzener Gefängnis nach Westdeutschland entlassen wurde. Keine Frage, der Mann hatte ein Programm.

Vor kurzem ist Guntolf Herzbergs und Kurt Seiferts Biographie „Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare“ im Berliner Christoph Links Verlag erschienen. Nun stellte Herzberg diese erste und mit über 650 Seiten opulente Lebensbeschreibung in Berlin im Literaturforum im Brecht-Haus vor. Als Zeuge für Leben und Werk sowie gelegentlicher Korrektor der Darstellung hatte man Volker Braun geladen, der seit 1965 eng mit Bahro befreundet war. 1967 flog Bahro aus der Redaktion der von der FDJ herausgegebenen Zeitschrift „Forum“, als er einen Urlaub seines Chefs ausnutzte und Brauns eher die Realität des Sozialismus als den Sozialistischen Realismus widerspiegelndes Stück „Kipper Paul Bauch“ abdruckte.

Der Fall Bahro: Zunächst war der Sohn schlesischer Flüchtlinge ein engagiertes SED-Mitglied, das seine Partei links zu überholen versuchte. Nach der Veröffentlichung der kritischen „Alternative“ aber wurde er 1977 verhaftet, zu acht Jahren Gefängnis verurteilt und später in die Bundesrepublik abgeschoben. Dort war er von Anbeginn bei den gerade als Partei gegründeten Grünen dabei – und verließ sie, als sich deren Wille zur Realpolitik abzeichnete. Spätestens seit seinem Besuch bei Anhängern der Baghwan-Bewegung im US-Bundesstaat Oregon 1983 wurde Bahros Philosophieren immer spiritueller. 1987 erschien die „Logik der Rettung“, in der den westlichen Industriegesellschaften eine „Logik der Selbstausrottung“ bescheinigt und der baldige Kollaps geweissagt wurde. Mit der Wende schließlich erhielt Bahro als Versuch der Wiedergutmachung eine Außerordentliche Professur für „Sozialökologie“ an der Humboldt-Universität Berlin. Die Nachrufe bei seinem Tod 1997 sprachen dann meist vom Scheitern.

Auch Herzbergs und Seiferts Buch, so lobt Volker Braun, sei nicht apologetisch, sondern nähere sich kritisch. Dass Bahro sich als Missionar – freilich mit wechselnden Glaubensinhalten – verstand, stehe außer Frage. Schon als er an der „Alternative“ schrieb, so erzählt Braun, war Bahro klar, dass sein Weg über Bautzen führen würde. „Er hat regelrecht darauf hin trainiert, sich physisch und mental darauf vorbereitet." Auch an Bahros Fähigkeit zur Inszenierung seiner Auftritte gibt es keinen Zweifel. Wie er 1977 einen Vorabdruck seines Buches samt Interview im „Spiegel“ platzierte und sein Unternehmen mit Auftritten im West-Fernsehen flankierte, lässt sein auf Wirkung (und Selbstverteidigung) bedachtes Kalkül erkennen.

Braun konstatierte sein eigenes Befremden an den „kaum zu vereinbarenden anziehenden und abstoßenden Zügen“ seines Freundes. Was Bahro und Braun aber vereint hat, ist ihr Zug ins Universale, die reichlich große Idee von der Emanzipation der gesamten Gattung. Beide woll(t)en sie das Übel an der Wurzel greifen – als ob Wurzeln Gebilde wären mit mehr als einem Trieb. Wo Braun in seiner Büchnerpreis-Rede 2000 die noch nicht realisierte Kombination von „Volkseigentum plus Demokratie“ als seine „letzte Verblendung“ zitiert, arbeitete sich Rudolf Bahro erst an der „Umweltkrise“, dann der „Inweltkrise“ ab. Seine Formel heißt: alternative sächsische Landwirtschaftskommune Pommritz plus Bewusstseinsveränderung durch Meditation. Schon 1980, liest Braun aus frühen Notaten, habe er ihn gewarnt, „sich nicht zu verglauben“. Und sechs Jahre später: „Wie ein fröhlicher Buddha sitzt er da und erwartet meine Verwandlung.“ Braun, Künstler und durchaus Visionär, erscheint neben dem spinnerten Propheten wie ein Mann mit einem gesunden Sinn fürs Faktische: „Nur andere Arbeit wird den Menschen verändern.“

Die Kapitel über Bahros Leben in der DDR bis 1979 und über die Zeit nach seiner Rückkehr 1989 nach Berlin hat Herzberg verfasst, jenes über die Dekade in der Bundesrepublik sein Co-Autor Seifert. Beide haben Bahro gut gekannt und hatten Zugang auch zu nicht veröffentlichem Material. Noch auf dem Krankenbett hat der Prediger des Ausstiegs an dem unvollendeten „dritten Hauptwerk“ geschrieben. Es stelle eine „Neubestimmung des Kommunismus“ dar. Peter Weiss hatte sie schon in seinem „Hölderlin“-Stück visioniert, hier wird sie ausgeführt: Was wäre aus Marx geworden, wenn er Hölderlin gelesen hätte! Dieses „Buch von der Befreiung aus dem Untergang der DDR“ wäre heute wohl an Sahra Wagenknecht gerichtet.

Bahro muss ernsthaft geglaubt haben, der Weltgeist spreche durch ihn. Erst ließ er ihn Lenin besingen und am Ende verkünden, man solle doch sein Feld bestellen. Dennoch hatte der Dissident in allen Lagen auch konventionelle Seiten. Bahros antimoderne und antiwestliche Attitüde transportiert ein Stück urdeutscher Tradition, und nicht der besten.

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