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Kultur: Der Treibhaus-Effekt

Die Konkurrenz wird größer, das Spektrum reicher – zum Saisonstart in den Berliner Galerien

„Wir bleiben in Köln!“ Die weiße Schrift auf der roten Postkarte der Galerie Benden & Klimczak ist mehr Bekenntnis als Einladung zur Vernissage. Gleichzeitig spricht aus der Karte ein fast rührender Trotz: Wir bleiben! Obwohl die anderen gehen. Doch wer wollte es den Kölnern verdenken? Zu deutlich hat sich in den letzten Jahren die Galerienszene nach Berlin verlagert. Manche haben Dependancen in der Hauptstadt eröffnet, andere sind gleich komplett umgezogen: Die Galerie Buchmann kam im letzten Herbst, Aurel Scheibler im Juni, Raphael Jablonka eröffnet Ende September. Er wird Räume in der Kochstraße beziehen, ebenso wie Julius Werner, Sohn des Kölner Galeristen Michael Werner, der sich für sein Galeristen-Debüt Berlin ausgesucht hat.

Doch nicht nur aus dem Rheinland werden Zuzüge angekündigt: Als erste New Yorker Galerie wird Goff + Rosenthal Ende des Monats Ausstellungsräume in der Brunnenstraße eröffnen. Die Galerie plant in den nächsten Jahren Solo-Ausstellungen unter anderem von Abetz/Drescher, Susanne Kühn, Christoph Schmidberger und Artists Anonymous. Gerade die Letztgenannten sind trotz ihrer Namenlosigkeit durchaus keine Unbekannten in Berlin, sondern ein Re-Import: Die letzte Einzelausstellung hatte das 2001 gegründete Künstlerkollektiv vor einem guten Jahr ebenfalls in der Brunnenstraße, in der Galerie von Christian Ehrentraut, bei dem es bislang auf der Künstlerliste stand. Doch die Berliner Produzentengalerien, die sich rund um die Brunnenstraße angesiedelt haben, stehen bei in- und ausländischen Kollegen und Sammlern unter genauester Beobachtung. Wo jeder zu den Ersten, den Entdeckern, zählen will, können Karrieren im Zeitraffer verlaufen: 2007 werden Artists Anonymous an Saatchis nächster „Triumph of Painting“-Ausstellung in London teilnehmen.

Der Besuch der Brunnenstraße mit den hier angesiedelten Nachwuchsgalerien lohnt sich jedoch schon jetzt: Die Galerie Amerika zeigt seit gestern eine konzeptuelle Fotoarbeit und den neuen Film von Sven Johne (Brunnenstraße 7, bis 7. Oktober). Der gebürtige Rügener und diesjährige Marion-Ermer-Preisträger greift Zeitungsmeldungen auf, spinnt sie weiter und verdichtet Erzähltes und Erfundenes zu ebenso raffinierten wie einfachen Bild-Text-Arrangements, die ganz nebenbei zu Seismografen eines Landes im Umbruch werden.

Ausstellungen wie diese verdeutlichen: Die Berliner Szene ist vielfältiger denn je, inhaltlich wie räumlich. Längst reicht es nicht mehr, sich auf den Rennstrecken in Charlottenburg und Berlin-Mitte umzuschauen, wenn man umfassend informiert sein will. Neue Zentren sind in den vergangenen Jahren an der Jannowitzbrücke, in der Zimmer- und der Kochstraße entstanden, gleichzeitig boomt die Individualität: Sei es Mehdi Chouakri in den Edison Höfen, Guido W. Baudach in den Osramhöfen oder Giti Nourbakhsch, die Ende September ihre neuen Räume in der Kurfürstenstraße 12 eröffnet – gerade an regnerischen Tagen kann der geneigte Kunstfreund Fantasien von lauschigen Shuttlebussen entwickeln, die einen von Galerie zu Galerie schaukeln.

Die Kehrseite dieses Booms liegt auf der Hand: Bei rund 400 Galerien in Berlin, von denen gut zehn Prozent an den großen internationalen Messen teilnehmen, wird die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit von Besuchern, von Sammlern, Presse und Kuratoren immer größer. Während es in anderen Städten eine Galerienszene gibt, hat sie sich in Berlin immer weiter differenziert, sodass viele nebeneinander bestehen müssen. Für die Galeristen bedeutet die gestiegene Konkurrenz, dass sie alle paar Wochen einen Coup landen müssen. Ein Meister dieses Zaubertricks ist Gerd Harry Lybke von Eigen + Art (Auguststraße 26, bis 28. Oktober). Er eröffnet die Saison mit einem der erfolgreichsten Künstler der Galerie und sorgt gleichzeitig für eine Überraschung: Denn der wegen seiner kitschig-schaurigen Mädchen-, Häschen- und Pudelbildern international gefragte Maler Martin Eder zeigt erstmals Fotografien. Düster-melancholische Bilder von jungen Frauen, die sich in zerrissenen Netzstrümpfen in seinem New Yorker Studio räkeln (Aufl. 3, 18 000 Euro). Sie scheinen einer Zwischenwelt von Realität und Traum zu entstammen, erinnern an frühe Pin-ups, wobei Eder ganz bewusst nicht mit professionellen Modellen arbeitet, sondern das Unperfekte sucht und die blau durchschimmernden Adern auf der Brust oder die schmutzigen Fußnägel sichtbar lässt. Gerade der so eingefangene, scheinbar unkontrollierte Moment zwischen Künstler und Modell, zwischen voyeuristischem Schauen und bewusstem Zeigen verleiht der Serie ihren Reiz – zumal Eder grundsätzlich nach fotografischen Vorlagen malt. Die Präsentation gewinnt auch durch eine von Eder entworfene psychedelische Tapete. Schwarze Punkte tauchen hier auf, wo gar keine sind, das Auge beginnt hin und her zu tanzen, und die Gewissheit über das Gesehene geht verloren wie die Gewissheit über den Weg durch ein Spiegelkabinett. Und Eder wäre nicht Eder, wenn er es am heutigen Sonnabend bei der an die Vernissage anschließenden Performance und dem Konzert als „Richard Ruin“ nicht so richtig krachen lassen würde (Spiegelsaal im Ballhaus Mitte, ab 21.30 Uhr) .

Unbedingt sehenswert sind auch die gestern eröffneten Ausstellungen in der Zimmerstraße 88 /89: drei Künstlerinnen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. In der Galerie Nordenhake sind Rauminstallationen von Franka Hörnschemeyer zu sehen, die in ihrer brachialen Ästhetik den Raum der Galerie aufgreifen, kommentieren und durchbrechen. Ein Stockwerk höher präsentiert Barbara Weiss Gemälde und Papierarbeiten der amerikanischen Künstlerin Rebecca Morris. Die 1969 in Honolulu geborene, in Los Angeles lebende Künstlerin zeigt eine sehr eigenständige, wunderbar leichtfüßige abstrakte Malerei, die gekonnt und spielerisch einen Bogen zwischen der nichtfigurativen Kunstgeschichte und Graffiti-Ästhetik schlägt. Eine weitere Etage höher repräsentiert Rosa Loy in der Galerie Tolksdorf den weiblichen Teil der Leipziger Schule. Und das ist erst der Anfang. Wenn das Art Forum Berlin am 29. September seine Tore öffnet, kann man sicher sein: Die Galerien werden richtig aufdrehen – und sich weiter vermehren.

Katrin Wittneven

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