zum Hauptinhalt

Kultur: Der Überwältiger

Liebe, Tod und Leidenschaft: Soviel Barock war nie – Peter Paul Rubens in Braunschweig

Grauenvolle Szene: Unbewegt hält der römische Feldherr Gaius Mucius seine rechte Hand ins Feuer und lässt sie zum Zeichen seiner Standhaftigkeit verschmoren. Die züngelnden Flammen, das schmurgelnde Fleisch bilden das Zentrum des Geschehens. Gaius in voller Rüstung schaut unverwandt auf den entsetzt zurückweichenden Etruskerkönig Porsenna, der ihm ursprünglich selbst mit Feuerfolter gedroht hatte, um ihn zur Aussage über sein missglücktes Attentat zu zwingen. Zu Füßen der beiden liegt – mit dem Schwert in der Brust – der erstochene Sekretär des RomBelagerers, den Gaius Mucius mit Porsenna verwechselt hatte.

Um den aufrechten Römer scharen sich die nicht weniger schockierten Gefolgsleute des Etruskerkönigs, in deren Gesichtern und Gesten sich die Reaktionen widerspiegeln: Impulsiv versucht der eine, die schon rot glühende Hand aus dem Feuer zu ziehen, ein anderer hält sich, vom verbrennenden Fleisch angeekelt, die Nase zu, ein Dritter scheint nur auf den Befehl zum Losbinden zu warten. Tatsächlich berichten die antiken Chronisten, dass der beeindruckte Porsenna dem Feind daraufhin die Freiheit geschenkt, ja sogar Rom verlassen haben soll.

Wer das aus Budapest stammende monumentale Historienbild „Mucius Scaevola vor Porsenna“ eine Weile betrachtet hat, der glaubt die Feuerhitze zu spüren, den Gestank des Fleisches zu riechen. Vor fast 400 Jahren schuf der in Siegen geborene Peter Paul Rubens (1577 bis 1640) dieses gewaltige Gemälde, das die Spannung eines ewig zurückliegenden imaginierten Augenblicks sofort gegenwärtig macht. Aber auch Rubens selbst ist dieses Jahr erstaunlich präsent – wird vom Klassiker plötzlich zum Kunstevent. Wie durch Zufall folgt eine Rubens-Schau auf die andere, ohne dass es ein Jubiläum zu feiern gäbe. Über drei Jahrzehnte war es im internationalen Ausstellungsbetrieb vergleichsweise still um den bedeutendsten Maler des Barock, da entwickelt sich 2004 zum Rubens-Jahr. Die Kulturhauptstädte Lille und Genua widmen ihm Retrospektiven, seine Heimatstadt Antwerpen bereichert den Boom mit Präsentationen, die Rubens als Kunstsammler und gelehrten Humanisten entdecken.

Nun ist auch Braunschweig mit einer Jubiläumsausstellung aus Anlass des 250-jährigen Bestehens des Herzog-Anton Ulrich-Museums dazugestoßen. Die hervorragenden Sammlungsbestände hatten ohnehin nahe gelegt, Rubens ins Zentrum der Hauptausstellung zu rücken. Unversehens hat man damit den Nerv der Zeit getroffen, das Bedürfnis nach Sensation, nach großen Gefühlen.

Entsprechend machen die Braunschweiger Kuratoren zum Thema, wofür Rubens immer schon stand – Üppigkeit, Fleischlichkeit, „Barocke Leidenschaften“, so auch der Ausstellungstitel. Und doch verbinden sie den Augenschmaus mit einem klugen Konzept und berücksichtigen zugleich jüngste Forschungsergebnisse. Denn um die Leidenschaftlichkeit der Rubens-Werke weiß zwar jeder, doch hat sich ihrer die Kunstwissenschaft überraschenderweise erst vor wenigen Jahren angenommen. Das wird nun im Herzog-Anton-Ulrich-Museum mit einer opulenten Schau mit rund 100 Werken nachgeholt.

Der durchdringende Blick der schönen Judith, reproduziert auf Eintrittskarten, Flyern, Plakaten, steht für das gesamte Unternehmen Pate. Ekel, Lust, Verzückung stehen in ihren Augen geschrieben, ebenso Sinnlichkeit, Durchsetzungskraft, Heldenmut. Das um 1617 entstandene Hauptwerk aus Braunschweiger Besitz bespielt die gesamte Klaviatur der Emotionen. Es kombiniert Lust und Schrecken, setzt hellen Schein auf die schwellenden Brüste der Verführerin und zeigt sie mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes in den kraftvollen, bluttriefenden Händen zugleich als tatkräftige Rächerin ihres Volkes. In seinen Bildern hat Rubens nie eine Strategie allein verfolgt; gerade durch die widersprüchlichen Gefühle, die seine Inszenierungen evozieren, bringt er auch moralische Fragen ins Spiel.

So gilt das für den spanischen König gemalte Bild „Mucius Scaevola vor Porsenna“ als Musterbeispiel für die Gleichzeitigkeit emotionaler und politischer Botschaften. Das Werk stellt nicht nur ein Loblied auf die Standhaftigkeit dar, wie sie der tapfere Römer bewies, sondern auch auf die Nachgiebigkeit, die wiederum der Etruskerkönig Porsenna verkörpert. Rubens ist hier ganz Malerdiplomat und rät dem spanischen König als dem Repräsentanten einer Großmacht sowohl zu militärischer Entschlossenheit als auch zur Versöhnungsbereitschaft.

Die Braunschweiger Ausstellung systematisiert die Rubensschen Gefühlswelten, bildet dazu eigene Abteilungen: „Liebe, Rausch, Begierde“ mit den Beispielen körperlichen Begehrens, „Glaube, Liebe, Hoffnung“ als Größen religiöser Gefühle, „Furcht, Zorn, Triumph“ mit Szenen hochgepeitschter Emotionen im Kampf. Der Maler dürfte selber so vorgegangen sein. Aus Quellen des 17. Jahrhunderts ist bekannt, dass er sich auch kunsttheoretisch mit den „passioni“, menschlichen Affekten und Handlungsweisen, beschäftigte.

Als gebildeter Humanist und Illustrator der Schriften des Stoikers Seneca hält er aber die Tugend der Standhaftigkeit am höchsten. Dieses Nebeneinander mag verwirren, erklärt sich aber durch verschiedene Auftraggeber: Während sich Rubens mit dem Historienbild beim spanischen Hof empfahl, bezahlte er mit der üppigen Judith das Grundstück für sein Antwerpener Künstlerpalais. Die in höhere Sphären entrückte Maria Magdalena (1619–1627), von Engeln gehalten und zugleich dekorativ entblößt, war wiederum als Altarbild gedacht.

Nichts scheint heute ferner als eine Heilige in Ekstase, und doch zieht das Liller Gemälde magisch an. An ihm lassen sich kulturelle Codes studieren, die seit dem barocken Zeitalter Einzug ins allgemeine Bildreservoir gefunden haben. Die Leidenschaftlichkeit der Rubens’schen Motive, ja seine Überwältigungsstrategie wirkt bis heute nach; sie reicht bis zur Kinoästhetik, die sich genau der gleichen dramatischen Überspitzung bedient. Und als hätte Rubens von den Medien der Zukunft geahnt, beginnt man in Braunschweig plötzlich Filmscripts zu entdecken: Das Prado-Gemälde „Diana und ihr Gefolge, von Satyrn überrascht“ (1639) zeigt in einem extremen Querformat von links nach rechts die immer frecheren Zudringlichkeiten der Satyrn und die sich steigernde Verzweiflung der Nymphen. Wie im Zeitraffer scheint sich auf dem Pariser Skizzenblatt „Der Tod der Dido“ (1602–05) die verzweifelt Liebende fünfmal ins Schwert zu stürzen.

So oder so – Rubens hat seine Aktualität bewiesen, auch wenn wir seinen hochmoralischen Ansprüchen kaum folgen mögen. Vermutlich waren auch seine Zeitgenossen dazu nicht in der Lage, und jeder wusste darum. Nur so ist das Dresdner Gemälde „Die Folgen der Tugend: Der Tugendheld von der Siegesgöttin gekrönt“ (um 1616) zu verstehen. Erfolgreich hat der Held die Laster besiegt: die Maßlosigkeit in Gestalt eines am Boden liegenden betrunkenen Silenen, die durch Venus verkörperte Genusssucht und den Neid in Gestalt einer Schlangen verzehrenden Alten. Nun setzt ihm die entblößte Siegesgöttin den Lorbeer aufs Haupt und schmiegt sich dabei betörender als alle Verführungen zuvor mit ihren üppigen Rundungen an die glänzende Rüstung des „christlichen Ritters“. Der nächste Affekt lässt sich ahnen.

Herzog-Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig, bis 31. Oktober; Katalog (Hirmer-Verlag, München) 27 Euro.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false