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Kultur: Der Vater sperrt die Kinder ein. Eine Sozialarbeiterin holt sie raus. Ein kleiner Junge lockt sie in die Welt.

Das erste Bild erzählt alles: Ein kümmerliches Pflänzchen wächst unter heißer Mittagssonne in einem zerbrochenen Topf. Um es zu gießen, zwängt sich ein schmaler Arm durch Gitterstäbe, reicht er hin, reicht er nicht?

Das erste Bild erzählt alles: Ein kümmerliches Pflänzchen wächst unter heißer Mittagssonne in einem zerbrochenen Topf. Um es zu gießen, zwängt sich ein schmaler Arm durch Gitterstäbe, reicht er hin, reicht er nicht? Einige, viele Tropfen gehen daneben, dann erreicht das kostbare Nass seine Bestimmung. Die Blume im zerborstenen Topf: ein Bild von Gefangenschaft, Armut und hilfloser Liebe.

Samira Makhmalbaf, Tochter des iranischen Regisseurs Mohsen Makhmalbaf, hat einen Film gedreht über einen Skandal, der 1997 durch die Presse des Landes ging: Ein streng religiöser Iraner, der seinen mageren Unterhalt damit verdient, dass er für andere Leute auf der Straße betet, hatte seine beiden zwölfjährigen Töchter Tag für Tag im Hause eingesperrt. Ein Gitter verschließt die Tür, schon der mit Mauern umgrenzte Hof ist für die Kinder tabu. Die beiden Mädchen können kaum gehen, sprechen schon gar nicht: Vernachlässigt, wie Tiere gehalten, vegetieren sie dahin, ohne Sonne, ohne Bewegungsfreiheit. Samira Makhmalbaf, damals 17-jährig, sah im Fernsehen eine Dokumentation über diese Familie und entschied: Das muss ein Film werden. Auf ihr Bitten spielen Vater und Kinder ihr Schicksal noch einmal nach.

Entstanden ist eine leise, aber treffende Kritik der iranischen Gesellschaft und ihrer Männer: Denn nicht, dass der Vater seine Töchter hasst oder quälen möchte, ist Antrieb seines barbarischen Handelns - im Gegenteil, es ist übertriebene Fürsorge. Denn über die Mauer des väterlichen Hofs steigen die Jungs, wenn ihr Ball in den Hof geflogen ist, und will er sie später verheiraten, müssen sie doch noch immer Jungfrau sein. Oder, um im Blumenbild zu bleiben: "Meine Töchter sind wie Blumen. Und unverheiratete Männer wie die Sonne: Sie lassen sie welken."

Wie aber die beiden nicht welken, sondern aufblühen, sobald die Sonne sie trifft, das zeigt der Film in hinreißenden Szenen. Denn einer beherzten Sozialarbeiterin gelingt es, den Vater selbst ins Haus zu sperren und die Kinder in die Freiheit zu entlassen. Ein kleiner Junge lockt sie mit einem Apfel an der Angel in die Freiheit, widerstrebend folgen sie ihm. In Hausschuhen, Hand in Hand, laufen die Mädchen über die Straßen und entwickeln ganz erstaunlichen Witz bei ihrer ersten Begegnung mit der Wirklichkeit. Ob es nun darum geht, unauffällig eine Tüte Eis zu entwenden, Freunde zu finden oder eine Taschenuhr zu erwerben - ihre absolute Unschuld machen sie unangreifbar, unverletzlich. Und ihr glückliches Strahlen spiegelt die Schönheit einer neuen Welt.

Dass diese Kinder, gerade erst dem heimischen Gefängnis entronnen, nun zu Filmstars geworden sind und mit entwaffnender Offenheit vor der Kamera agieren, grenzt an ein Wunder. Zu gestellt, um eine Dokumentation zu sein, zu direkt, um als Spielfilm durchzugehen, ist "Der Apfel" irgend etwas dazwischen: "Eine dritte Wirklichkeit", nennt Samira Makhmalbaf ihren Film.

Dass eine 17-Jährige, wenn auch mit einem berühmten, an der Arbeit beteiligten Vater, in ihrem ersten Film so genau, so eindringlich eine Geschichte erzählt, vor der Ältere, Erfahrenere zurückschrecken würden, ist das zweite Wunder dieses Films. "Viele Ausländer haben mich gefragt, ob der Iran ein Land ist, wo zwei elfjährige Mädchen einfach weggesperrt werden, wo man ihr Leben verstümmelt, um es nicht den Gefahren des Lebens auszusetzen - oder ob es ein Land ist, wo ein 17-jähriges Mädchen darüber einen Film drehen kann. Ich habe denen gesagt: Es ist ein Ort für beides."Filmbühne am Steinplatz (OmU), fsk (OmU) und Hackesche Höfe

Christina Tilmann

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