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Volker Braun

© picture alliance / dpa

Volker Brauns Nachwendenotizen: Der Welterklärer

Volker Braun, einst Großschriftsteller der DDR, wird am 7. Mai 75. Zum Geburtstag erscheinen seine Notizen "werktage 2". Es sind kluge Übungen in Distanz, auch von politischen Klischees. Und von Kollegen.

Volker Braun, geboren in Dresden am 7. Mai 1939, lebt als Lyriker, Dramatiker und Erzähler in Berlin. Er gehört zu den bedeutendsten Autoren der ehemaligen DDR, der er sich kritisch verbunden fühlte. Im Jahr 2000 erhielt er für sein Werk den Georg-Büchner-Preis. Die "Werktage 2", sein Arbeitsbuch der Jahre 1990–2008, sind soeben im Suhrkamp Verlag erschienen (1000 Seiten, 39,95 €).

Ist Raimund Fellinger, der Cheflektor des Suhrkamp Verlags, ein Geiselnehmer? Bei Volker Braun klingt es fast so, wenn er sich auf Seite 998 seines tausendseitigen Nachwende-Journals „Werktage 2“ (Arbeitsbuch genannt, um dem Arbeitsjournal seines Meisters Brecht nicht zu nahe zu treten) als „geisel dieser notate“ erklärt: Der Verlag nehme andere geplante Texte aus dem Programm, „weil ich die geheimen nicht hergebe“.

Nun sind sie erschienen, und es gibt allen Grund, den Geiselnehmern zu danken, die ihm zunächst 2009 sein Arbeitsbuch „Werktage 1“ aus den Jahren 1977 bis 1989 abgepresst hatten. Bei einer Lesung 2005 hatte er eher beiläufig Notate aus den achtziger Jahren vorgetragen und verblüfft notiert: „die wirkung ist unerwartet, man verlangt, die sachen zum druck zu bringen (dieses arbeitsbuch also), weiss, fellinger, charlotte brombach bedrängen mich heftig, aber dies schließe ich aus: das hieße identität herzugeben, meine (nicht intimste, aber) unbefangene existenz, mit der ich nur selber umgeh.“ Noch im September 2008 schreibt er, der Verlag dränge „fast unverschämt auf herausgabe, aber daran ist beileibe = im leben nicht gedacht. Ich bescheide fellinger: zehn jahre p.m., das ist im günstigsten fall 2039, im ernsten fall 2019.“

Ein diskretes Buch - auch wenn Namen genannt werden

So viel Zurückhaltung würde man anderen Tagebuchschreibern der Saison wünschen – etwa Fritz J. Raddatz, der seine intimste Identität so gnadenlos preisgibt, dass von ihr nicht viel mehr übrig bleibt als Klatsch. Volker Braun, der am 7. Mai seinen 75. Geburtstag feiert, kommt gar nicht erst in diese Versuchung, weil er seine Notate per definitionem als Werktagebuch („denn von den nächten schweigt es sonst“) versteht und sich Klatsch nur ausnahmsweise gestattet. Beim Tod des Freundes Peter Rühmkorf wirft er aber einen Blick auf dessen Tagebuchwerk „TABU“ und schreibt dazu einen Nachtrag, nicht ohne sich zu fragen: „aber soll ich nachtragend sein? jenes wettlesen 1989 um den berliner preis, ich trug das nicht ins journal, er widmet dem ereignis viele zeilen, er hatte sich eigens herantransportieren lassen und eine liege zum lesen mitgeführt, denn das preisgeld 50.000 winkte, und reibt sich an mir unschuldigem gewinner, kennerisch aber daneben: kunst am bau, bakelit-prosa, enttäuscht wie er war, der neidhammel, er brauchte standing owehchen.“

Geschenkt! Auch ein diskretes und vorwiegend politisches Werktagebuch kommt nicht ganz ohne Personalien aus – von Freunden, Feinden und Freundfeinden, über die Braun reichlich verfügt. Da sind Karl Mickel, Richard Leising, Heinz Czechowski, Adolf Endler, die im Lauf der Jahre verstorbenen Freunde der „Sächsischen Dichterschule“, deren letztes Treffen 1990 in der West-Berliner Akademie der Künste ihn an eine „sagenhafte lesung“ im „großen kneipensaal von luckenwalde, in lederjacken wir zigarrerauchend“ erinnert. Da sind Christa und Gerhard Wolf, Stephan Hermlin, Rudolf Bahro, Rainer Kirsch, Wolfgang Hilbig, Friedrich Dieckmann und der West-Berliner Wegbegleiter und BrechtKenner Wolfgang Fritz Haug. Der empfiehlt ihm nach Brechts Vorbild die Lektüre von Kriminalromanen, weil ihm „die populäre Ebene“ fehle. Am 3. Oktober 1990, Einheitstag, stehen die beiden vorm Brandenburger Tor, und der Philosoph fragt den Dichter: „warum sind die intellektuellen getrennt von der freude des volkes? Das ist ein unglück, denn eine demokratische politische kultur lebt von dieser achse ...“

Kein Wunder, dass die beiden auch gern „über das eis des schlachtensees“ spazieren und über Entfremdung im Sozialismus und Kapitalismus diskutieren. Das ist so nicht mehr möglich mit Sarah Kirsch, Günter Kunert oder Wolf Biermann, der ihn noch am Vorabend seines Kölner Konzerts, zwei Tage vor seiner Ausbürgerung, um Rat gebeten habe, ob er reisen solle. Volker Braun hat gegen seine Ausbürgerung aus der DDR protestiert, jetzt reizt ihn der Bundesbürger Biermann zum Protest. Sind sie, fragt er sich am 9. November 1990 bei Freunden in Frankreich, inzwischen Feinde?

„sarahs (und kunerts) verbitterung, da wir gebliebenen auch ankommen im westen. jetzt erst wird der graben gezogen, spüren sie, dass es auch feige war zu gehen? nehmen sie übel, dass uns die flucht geschenkt wurde? dass wir gründe hatten zu bleiben ... ihre attacken speist der selbsthass: weil sie nicht haben, was sie in uns vernichtet sehen, das gemeinsame solidarische projekt.“ Da geht es von beiden Seiten unter die Gürtellinie, wenn Braun im Streit um die Berliner Akademie der Künste 1992 notiert: „kunert sah in den östlichen kollegen gartenzwerge. sagte es, und wie sah er aus?“

Schlaglichter fallen auch auf die Vereinigung der Akademien der Künste

Volker Braun

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Wer am Ende der größere Dichter ist, der kurze Kunert oder der lange Braun, entscheiden nicht wir. Auch nicht, wer der größte Suhrkamp-Autor ist, wenn Braun die Kollegen Walser und Enzensberger als „zwei aus dieser wortreichen generation“ schulmeistert: Walser wegen seiner Friedenspreisrede, Enzensberger wegen dessen Heine-Preis-Rede. Ihm schickt er hinterher, er habe „mal wieder die Welt erklärt“.

Ist oder war er denn nicht selbst ein Welterklärer par excellence? Gehört der Büchner-Preisträger Braun nicht auch zu dieser wortreichen Generation? Sein berühmtes frühes Gedicht „Jugendobjekt“ ist ganz im Ton Enzensbergers (mit einem Schuss des wortreichen Jewtuschenko) geschrieben, und mit dem Wort- und Ideenreichtum von Walsers Tagebüchern kann er sich eher nicht messen, obwohl beide Werktagebücher nach demselben Prinzip gebaut sind: Tagesnotate und werkbezogene Reflexionen, Reiseeindrücke, untermischt mit Gelegenheitsgedichten und bildkünstlerischen Einlagen. Bei Walser sind das eigene Zeichnungen, bei Braun fotografische Fundsachen mit meist gereimten Kommentaren in der Art von Brechts „Kriegsfibel“ und seiner ihr nachempfundenen „KriegsErklärung“ (1967).

Brauns Aufzeichnungen sind durchgängig politischer, Walsers poetischer, mit politischen Einlagen in den Jahren seines Flirts mit der DKP. Von dieser Partei konnte man sich allerdings leichter lösen als vom Sozialismus der SED, an dem sich Braun über die Wende von 1989 abgearbeitet hat. Erst die Lektüre seiner Stasi-Akten bringt ihn zu der Einsicht, dass auch er „bei Kenntnis derselben das Land verlassen hätte“. Den Film „Das Leben der Anderen“, fast ein Spiegelbild seiner dramatischen Jahre als DDR-Dramatiker unter der Fuchtel von Partei und Staatssicherheit, empfindet er inzwischen als „kaum übertrieben“.

„Werktage 2“ ist die Chronik seiner allmählichen Abwendung von dieser Vergangenheit und der politisch-literarischen Lockerungsübungen, denen wir nach seinen anfänglichen Klagen um „unser Land“ DDR und seinem Abschied vom politischen Theater (wegen der „devastierung, die jetzt das theater erlebt“) ein Spätwerk elegischer Lyrik und fast heiter-gelassener Prosa verdanken. Das Buch begleitet die Entstehung der Meistererzählung „Die vier Werkzeugmacher“ (1996) von der Ankunft arbeitslos gewordener Handwerker im real existierenden Kapitalismus und seine kritische Revision von Stefan Heyms allzu platter Utopie „Schwarzenberg“ als Kalendergeschichte in Hebels Manier („Das unbesetzte Gebiet. Im schwarzen Berg“, 2004). Auch auf die Vereinigung der beiden Akademien und der Schriftstellerverbände fallen Schlaglichter, und am Ende steht auf Seite 999 die Vermutung, vielleicht „klage man zu unrecht über die neue zeit, dass sie alles umzustoßen suche, ohne was besseres dafür aufzustellen. wolle man denn, wo man ein zimmer machen lässt, urteilen, wenn die alte farbe von den wänden gekratzt und die neue nur erst eingerührt sei? wie ganz anders klingt das als hagers angst einst, die tapeten zu wechseln.“ Wie ganz anders!

Der Leipziger Lehmstedt Verlag veröffentlich eine Festschrift zu Brauns 75. Geburtstag, unter dem Titel „Was immer wird, es wühlt im Hier und Jetzt – Im Zwiegespräch mit Volker Braun“(264 Seiten, 29,90 €). Brauns "Werktage 2" und die Festschrift werden am Dienstag, 29. April, um 20 Uhr in der Akademie der Künste am Pariser Platz vorgestellt. Neben dem Jubilar sind Ingo Schulze, Michael Opitz, Erdmut Wizisla, Ann Cotten, Thomas Rosenlöcher, Kerstin Hensel, F. C. Delius und Elke Erb mit von der Partie.

Hannes Schwenger

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