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Jakob Encke, Daniel Stoll, Leonard Disselhorst und Sander Stuart (v. l.) sind das Vision String Quartet.

© Tim Klöcker

Das Vision String Quartet im Kammermusiksaal: Der Witz und der Walzer

Das Vision String Quartet zeigt bei seinem „Debüt im Deutschlandfunk“ größte Spielfreude. Schubert und Ligeti bekommen viel Energie, aber keine Ruhe.

Plötzlich ein harter Akzent. Die Bögen jagen über die Saiten der Instrumente. Laut und kräftig, mit Druck. Dann drängen die Musiker weiter. Indem sie das unvermittelte Hervorbrechen der Musik einen halben Gedanken zu früh ansetzen, gelingt ihnen die Überraschung sehr effektvoll – gleich mehrmals: In Schuberts Quartettsatz D 703 erklingt diese Stelle öfter.

Die vier vom Vision String Quartet werfen sich in die dynamischen Extreme, und es scheint, dass sie die starken Kontraste lieben. Sie lassen den Ton mal in der Höhe transparent schwirren, dann wieder kratzig brausen. Insgesamt dominiert ein kühler, etwas metallischer Klang – nicht nur im Schubert-Satz, sondern auch in dessen „Der Tod und das Mädchen“ und in Ligetis erstem Streichquartett „Métamorphoses nocturnes“.

Das junge Ensemble bringt für dieses „Debüt im Deutschlandfunk“ im Kammermusiksaal eine enorme Spielfreude mit. Die zeigt sich an der Energie, die in den ganzen Saal strömt. Sie wird aber auch deutlich an der detaillierten Klanggestaltung. Ligetis Werk fordert von seinen Interpreten die unterschiedlichsten Spieltechniken, das Quartett nimmt sie zum Anlass, um die ganze Klangbreite ihrer Instrumente zu präsentieren.

Dem Tod davongetanzt

Das macht die Interpretationen spannend, weil die vielen Tonfärbungen den Musikern erlauben, ihre Vorstellungen sehr fein zu artikulieren. Im etwas stockenden Walzer, der mitten in Ligetis Komposition auf einmal auftaucht, entdecken sie einen sonst meistens versteckten Witz, und auch die abfallenden Glissandi im „Allegretto“-Abschnitt können sie so platzieren, dass sich Schmunzeln im Publikum regt.

In Schuberts berühmtestem Streichquartett formen sie ebenfalls sehr schöne Klänge, balancieren ihre Stimmen gut aus und gestalten differenziert. Allerdings wird hier deutlich, was sich in der ersten Konzerthälfte schon angedeutet hatte: Trotz Tempowechsel kommen sie nie an einen wirklichen Ruhepol, der sich ihrem sonst so stürmenden Spiel entgegenstellt. Ligetis „Métamorphoses nocturnes“ funktionieren auch ohne, doch „Der Tod und das Mädchen“ verliert dadurch seine packende Beklommenheit. Gerade der zweite Satz entwickelt nicht den markanten, unnachgiebigen Zug, weil die weiten Spannungsbögen erst gar keine Zeit haben, sich ausreichend aufzubauen.

Trotzdem: Die Leidenschaft und die Freiheit, mit der die vier spielen, gibt ihrem Auftritt eine lebendige Frische. Da kann es passieren, dass der Tod nicht das Mädchen holt, sondern sie ihm einfach davontanzt.

Jonas Zerweck

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