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Kultur: Der Wolf und die neun Geislein

Was kommt, was bleibt, was fehlt: die Auswahl des Berliner Theatertreffens 2004

In Edward Albees neuem Stück „Die Ziege“ liebt ein gestandener Mann – eine Ziege. Andrea Breth hat diese Zoogeschichte in Wien zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht, in Berlin läuft sie am Renaissance-Theater. Nichts fürs Theatertreffen vom 1. bis 20. Mai, sagt einem der Instinkt. Doch zu meckern gibt die Auswahl der Jury schon Anlass. Weil die sieben Kritiker, die sich 300 Aufführungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Brust nahmen, offenbar selbst nicht so genau wissen, was für ein Theaterjahr sie da zu durchforsten hatten.

Immerhin fällt auf, dass die Theatertreffen-Nomenklatura des zurückliegenden Jahrzehnts fehlt. Frank Castorf also ist diesmal nicht dabei – dafür zwei andere durchaus tierische Produktionen der Berliner Volksbühne. „Kampf des Negers und der Hunde“ von Koltès in der Regie von Dimiter Gotscheff: eine dicke Überraschung. Und „Wolf“ von Alain Platel: Hier ist die Volksbühne, mit der Pariser Oper, dem flämischen Les Ballets C. de la B. und der Ruhrtriennale Koproduzent. Der Trend zu internationalen Koproduktionen setzt sich fort.

„Wilde – Der Mann mit den traurigen Augen“ in der Regie von Sebastian Nübling (Schauspiel Hannover/Steirischer Herbst Graz) hatte kaum jemand erwartet. Eher schon den Ritterschlag für das Berliner Hebbel am Ufer (HAU), das erst vor vier Monaten seine Türen geöffnet hat und nun mit „Deadline“ vom Rimini Protokoll beim 41. Berliner Theatertreffen dabei ist. Dahinter steht eine ganze Latte von Koproduzenten: neben dem HAU wiederum das Schauspiel Hannover, das Wiener Burgtheater und das Deutsche Schauspielhaus Hamburg. Dessen viel gescholtener, zuletzt aber glücklicher agierender Intendant Tom Stromberg kommt nun doch zu Theatertreffen-Ehren, wenn er sie auch teilen muss.

Vieles neu im Berliner Theatermai, vieles auch schon wieder altbekannt. „Das Werk“ der Elfriede Jelinek in der Wiener Akademietheater-Inszenierung von Nicolas Stemann: Da haben wir (wenn auch nicht „Bambiland“) einen neuen Text und einen Regisseur, der auch noch zu den Jüngeren zählt. Gleiches gilt für Armin Petras alias Fritz Kater, er kommt mit „We are camera/Jasonmaterial“ vom Thalia Theater. Hier taucht auch das (Vorsicht Kater!) animalische Leitmotiv wieder auf. Doch die Wahl von „Dantons Tod“ vom Schauspielhaus Zürich in Christoph Marthalers Regie durchkreuzt sämtliche Strategie- und Trendgedanken. Marthaler gehört zum Theatertreffen-Establishment, nun auch schon zu den ältesten Inszenatoren des Festivals.

Noch eine Überraschung: Jürgen Goschs „Sommergäste“ aus Düsseldorf und auch – nein, nicht Tschechows „Möwe“, sondern – der „Onkel Wanja“ vom Münchner Residenztheater. In der Inszenierung von Barbara Frey wird es ein Berliner Wiedersehen mit Sunnyi Melles und Thomas Holtzmann geben. Schließlich die Münchner Kammerspiele: Johan Simons’ mühevoller Versuch mit Heiner Müllers „Anatomie Titus“ ist keine überraschende Wahl, wenn man die künstlerischen und kulturpolitischen Vorlieben der Jury-Vordenker kennt.

Wenn man sie denn erkennen kann in diesem widersprüchlichen Zehnerpack. Bei der Auswahl der „bemerkenswerten“ Aufführungen stößt man auf ein Paradox. Da sich von den großen alten Namen (Zadek, Wilson, Bondy, Breth) nichts wirklich aufdrängt, wurde an den Rändern gesucht. Doch der Mainstream lauert überall. Mit den Jüngeren im Theater verhält es sich wohl auch so, wie Filmregisseur Fatih Akin (letzten Freitag hat er im HAU aufgelegt) während der Berlinale meinte. Der Gewinner des Goldenen Bären spricht von „loyaler Opposition zur Elterngeneration“. Die Loyalität geht so weit, dass auch die Polleschs und Thalheimers, vor kurzem noch die neuen Theatertreffen-Stars, müde und – hoffentlich nur vorübergehend – abgespielt wirken.

Das Logbuch der Jury verzeichnet 533 Theaterreisen durch die deutschprachigen Lande. Das ist harte Fron. Sie schlägt sich nieder in einem Tableau, das nicht wahnsinnig viel Lust und Laune macht. Das aber auch nicht massiven Widerspruch provoziert. Weil in den vergangenen zwölf Monaten eben nicht Höhepunkte ohne Ende produziert wurden – wobei man schon nach dem Verbleib von Constanza Macras und ihrer umwerfenden „Back to the Presence“-Performance fragen kann. Die Berliner Choreogra- fin hätte die Auswahl bereichert. Ihr Fehlen ist umso ärgerlicher, als die Jury doch so heftig um Entdeckungen bemüht scheint.

Spät kommt Alain Platel ins Spiel. Vor der Mozart-Orgie namens „Wolf“ hatte er eine längere Schaffenspause eingelegt, und seine legendären Stücke „Iets op Bach“ und „Allemal Indiaan“ waren seinerzeit immerhin als Gastspiele außerhalb des Theatertreffens in Berlin zu erleben. Auch „Wolf“ hatten wir schon hier, letzten Mai in der Volksbühne. Doch das ist wirklich eine irre Produktion, ein Highlight, ein Wurf aus jenem Stoff, aus dem Theaterträume sind. Hier stimmt (fast) alles, da alles – Tanz, Theater, Musik, Tiere – genial durch- und ineinandergeht. Aber macht ein „Wolf“ schon einen Sommer?

Rüdiger Schaper

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