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Kultur: Der Zauberberg und das Hollywoodschnitzel

Mit Thomas Mann beim Dinner / Ein Nachschlag von George Tabori

Ob Thomas Mann schwul war oder nicht – ich könnte keines von beiden bestätigen. Trotz der vielen deutschen Literaturexperten, die sich aus Anlass seines 50. Todestages wieder so freudig erregt über Manns „Homoerotik“ geäußert haben.

Ich habe ihn 1948 in Los Angeles fünf oder sechs Mal getroffen. „Zum Thee Mr. Tabori“, wie er in seinem Tagebuch notierte. Vielleicht lag es daran, dass ich nicht besonders hübsch war, jedenfalls hat er sich niemals so benommen wie in dem jetzt nochmals ausgestrahlten Fernsehfilm über die MannFamilie von Heinrich Breloer. Der große Schauspieler Armin Mueller-Stahl zeigt ihn in einer Schlüsselszene mit einem jungen Kellner bei einer orgiastischen Reaktion, in der ich den Thomas Mann meiner Erinnerung gar nicht erkennen konnte.

Zum ersten Mal traf ich ihn bei einer literarischen Veranstaltung in Hollywood. Für mich als jungen Romancier, der aus London kam, war es ungewohnt, dass auch ich dort einen Vortrag halten sollte. Ich fragte Thomas Mann, der sich hier sehr zu Hause fühlte, was ich tun sollte, um das Publikum zu gewinnen. Bierernst antwortete er: „Tell them a joke!“

Um diesen Ratschlag zu bekräftigen, begann Mann seinen eigenen Vortrag (ich glaube, über den „Doktor Faustus“) mit einem Witz, und die Zuhörer lachten entspannt. So ermuntert, habe ich mit zwei ähnlichen Witzen angefangen, denn ich wusste, dass das englische Wort für Witz also wit, „geistreich“ bedeutet. Das Publikum hat wieder gekichert, und Thomas Mann sagte hinterher: „Gut.“ Was ich damals als wichtigstes literarisches Kriterium betrachtete.

Das zweite Mal trafen wir uns in der sagenhaften Villa von Lion Feuchtwanger, dem erfolgreichsten deutschen Schriftsteller in den USA. Frau Feuchtwanger, eine wunderschöne, riesengroße und sonnengebräunte Dame, führte uns durch die mit 30000 Büchern dekorierten Räume ins Arbeitszimmer. Dort gab es, neben ungefähr 20 Gästen, drei Schreibtische, einen zum Sitzen, einen zum Stehen, der dritte zum Liegen. Feuchtwanger, der Brecht einst den Titel „Dreigroschenoper“ vorgeschlagen hatte und mich auf merkwürdige Weise an ein altes Kind erinnerte, stand hinter dem Stehpult und las fast zwei Stunden lang aus einem noch nicht veröffentlichten Roman (ich glaube über Goya). Mann bekam mit seiner Frau Katja natürlich den besten Platz, ganz dicht bei Feuchtwanger, und schlief sofort geräuschlos ein. Feuchtwanger hat das nicht gestört, er las sehr dramatisch, mit kindlicher Stimme. Am Ende haben wir alle enthusiastisch applaudiert, worauf Thomas Mann erwachte und höflich klatschte. Später hat er mich freundlich zur Seite genommen und auf Feuchtwangers tolle Villa, die wertvolle Einrichtung, den herrlichen Garten gedeutet: „Alles von ihm verdient, alles erschrieben. Mit nichts als Scheiße.“

Das dritte Mal, im wunderschönen Monat Mai, begegneten wir uns vor meinem Geburtstag bei mir zu Hause. Thomas und Katja Mann kamen zum Abendessen. Meine damalige deutsche Ehefrau war so aufgeregt, dass das Essen ungefähr zwei Stunden verspätet fertig wurde (Hollywoodschnitzel und Bratkartoffeln). Thomas Mann, an dessen Lippen mir die weiße Spur eines Magenpulvers aufgefallen war, beklagte sich nicht über die Verspätung. Er nutzte die Zeit, um einen Witz zu erzählen, worauf die Gäste mit freundlich gebleckten Zähnen reagierten und die Schauspielerin Greta Garbo gleich und leichtsinnig mit einem prachtvollen Witz antwortete. Wir brüllten alle. Thomas Mann war so beleidigt, dass er in seinem Tagebuch alle Gäste, auch die Garbo, ignorierte und stattdessen eintrug: „Zum Abendessen bei Taboris hoch über Hollywood. Kleine ungarisch schwedisch englische Gesellschaft ... Lange Sitzerei vorm Dinner.“

Ich hatte damals ein paar Monate am Drehbuch für eine Verfilmung des „Zauberberg“ geschrieben. Thomas Mann hoffte auf Hollywood und hatte sich schon damit abgefunden, dass nicht alle seiner vielen „Zauberberg“-Figuren in einer anderthalbstündigen Kinoversion vorkommen könnten. In den Anmerkungen zu den von Inge Jens herausgegebenen Tagebüchern Thomas Manns (1946–48) steht dazu: „Dramatisierung des ,Zauberberg ’(...): Ein Treatment lag vor, und auch die Hauptdarsteller, auf die sich Tabori mit seinem Freund Zoltán Korda, dem Bruder des Rechtsinhabers Sir Alexander Korda, einigen konnte, standen bereits fest: Greta Garbo als Claudia Chauchat und Montgomery Clift als Hans Castorp. Der Plan wurde niemals realisiert.“

Um das etwas genauer zu berichten: Mein Agent Harry Tatterbaum weigerte sich, den „Zauberberg“ an die Studios zu geben. „Bist du wahnsinnig“, sagte er mir ganz freundlich, „ein Script über eine Lungenheilanstalt? Du willst in Amerika einen Film über lauter Kranke und Moribunde machen?“ Das war das Ende von Thomas Manns und meinem „Zauberberg“ in der neuen heilen Welt.

George Tabori, geboren 1914 in Budapest, lebt als Dramatiker und Regisseur in Berlin. Am 7. September hat sein Stück „Jubiläum“ im Berliner Ensemble Premiere.

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