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Kultur: Der zündende Moment

Vor der Messe: was Kunstsammeln und Lagerfeuer verbindet

Von Thea Herold

Während einer Kunstmesse, die sich so speziell mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt wie das Art Forum Berlin, wird oft und beharrlich nach Maßstäben gesucht, über neue Entwicklungsrichtungen diskutiert und nicht zuletzt nach den Preisen gefragt. Wieder werden die privaten Sammler erwartet. Und wenn die Messe am kommenden Mittwoch eröffnet, werden diesmal noch mehr Sammler gebraucht als in den ersten sechs Jahren.

Ginge man dabei einfach vom Grobstofflichen aus, brauchten Kunstliebhaber nur genügend Geld mitzubringen und dankenswerterweise dafür Kunst zu kaufen. Als puren Luxus. Wie soll man es auch sonst nennen, wenn jemand eine mehrstellige Summe in fünf Blatt Papier mit luftigen Zeichnungen steckt? Oder in einen gemeinen Feldstein investiert, kindskopfgroß, mit seltsamer Schraffur? Oder in ein Video mit nervtötenden Geräuschen? Aber um diese Art von Gleichung geht es beim Kunstsammeln eben nicht. Das kann man nicht laut genug sagen, auf dass es sich weiter herumsprechen soll: Kunst zu sammeln hat immer mehr verlangt, als den schlichten Austausch von Geld und Ware.

Es verspricht aber dafür immer mehr zu sein, als unwägbare Wertanlage, mehr als eingerahmter Charakterausdruck, multiplizierte Selbstreferenz oder stilistische Standortbesetzung. Es hat mit all dem etwas zu tun – insofern ist eine Kunstsammlung auch eine elegant verschlüsselt memoriale Kramkiste für gegangene Lebenswege – ob sie die Hauptstraßen oder die Pfade daneben waren. Aber vor allem sammelt man verschlüsselt Erfahrenes in höchster Konzentration. Projektionsflächen für die eigenen Herzschläge. Der Betrachter, und nur einer kann schon genügen, muss das Kunstwerk verstehen. Und sich von ihm verstanden fühlen.

Auf der kommenden Messe gibt es wieder Gelegenheit für die Suche nach jenem elektrisierenden Moment. Eine Garantie gibt es dafür nicht. Auch keine Vorwarnung. Wahrscheinlich gibt es in unserer Sprache dafür nicht einmal ein wirklich gutes Wort. Im Englischen schon eher: to be inspired.

Das ist dann, wenn plötzlich ein Bild, Foto, Video in unser Sehen hineinfährt wie eine Axt. Oder wenn das Gehen einfach stoppt. Ganz unvermittelt. Wenn man von einer plötzlichen Aufmerksamkeit angezogen wird. Die wechselseitig Kunstwerk und Betrachter füreinander aufbringen. Es sieht dann meistens nach Zufällen aus. Und doch sind es keine. Hier warteten Botschaft und Mitteilung, dort hat ein vorbereiteter Geist danach gesucht. Die Kunstorte sind die Lagerfeuer der global nomadisierenden Geister geworden. Wenn man auf ein Bild trifft, kann es passieren, dass es zu einem spricht. Wortlos – aber es geschieht. Frei von Zeugen legen Bild und Betrachter gegenseitig Zeugnis ab. Dieser Austausch gefällt, oder er gefällt eben nicht. Manchmal kommt so eine Begegnung der besonderen Art ganz unverhofft. Meistens ist sie aber vielmehr das Ergebnis allseits offener Augen. Belohnung für einen gut vorbereiteten Wanderer in der Kunstwelt, für die Liebe zu einer Ausdrucksform, einer künstlerischen Sprache.

Unter den drei jungen Berliner Sammlern, die sich in der vergangenenen Woche beim „collector’s talk“ ihrer resoluten Leidenschaft für die aktuelle Kunst versicherten, ging kurz davon die Rede, dass sie noch von viel mehr Kunst träumen, als sie je Geld dafür haben. Was wieder die Frage nach den Maßstäben aufwirft. Auch danach, wie viel Kunst gebraucht wird.

Sammeln lässt sich alles und viel. Dazu ein persönliches Erlebnis: Bei einer Reise in die Wüste bekam das Wort „Sammeln“ für mich einen überraschend neuen Inhalt. Über mehrere Wochen, umgeben vom Sand der Sahara, gab es als wichtigste Arbeit für den Tag unter anderem das Sammeln von Holz. Ohne Holz – abends kein Feuer. Ohne Feuer – kein Brot, keine Suppe, keinen Tee, keine Wärme. Es war nicht nur wichtig, wieder ein offenes Feuer entzünden und hüten zu lernen. Es erwies sich als völlig unnütz, Mengen von Dürrhölzern oder Äste aus vertrockneten Baumkronen zu sammeln und als vermeintlichen Vorrat für abends an der Lagerstatt zu horten. Das versprach nur kurz etwas Licht, dabei gab es kaum Wärme, alles verbrannte wie Zunder, und danach blieb nicht einmal Glut. Aber es hat nicht lange gedauert, um zu begreifen, was in dieser Gegend gutes Holz ist. Es war rar. Aber es machte irgendwann sogar Spaß, danach zu suchen.

Die Autorin hat das Buch „Auf meine Art“ über Berliner Kunstsammler geschrieben. Am 24. September nimmt sie an einer Podiumsdiskussion über private Sammlungen im Paul-Löbe-Haus teil (20 Uhr).

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