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Kultur: Des einen Freud, des andern Geld

Bernhard Schulz über das gute alte, neue Urheberrecht

Bisweilen sind sogar die Vereinten Nationen für klare Formulierungen gut. Artikel 27 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung zum Beispiel lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Einerseits hat jedermann „das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen“, gar „sich an den Künsten zu erfreuen“; andererseits hat „jeder das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur und Kunst erwachsen“.

Dieser Gegensatz ist genau das Dilemma des Urheberrechts. Im Deutschen Reich wurde es heute vor 100 Jahren gesetzlich verankert. Seither ist es eherner Bestand aller Geistesarbeiter – und beständiger Quell von Auslegungsstreitigkeiten. 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers läuft es unwiderruflich ab, so viel ist gewiss; wer also Goethe verlegen oder Beethoven spielen mag, ist frei, dies zu tun. Obwohl, hoppla: Die Urtexte sind frei, nicht aber spätere Bearbeitungen oder Kompilationen, die eine eigene geistige Leistung darstellen.

Was haben Künstler nicht darum gekämpft, ihr Eigentum auch – vor allem auch – pekuniär gewürdigt zu sehen! Einst hat jeder gedruckt, was ihm unter die Hände kam, noch schlimmer erwischte es die Komponisten, deren Stücke nach Belieben gespielt wurden. Mit dem Aufkommen der Bildmedien traf es auch die bildenden Künstler, deren Werke zunächst durch Reproduktionsgrafik verbreitet wurden, ehe die unmittelbare Wiedergabe möglich wurde. „Verwertungsgesellsachaften“ nehmen sich der Künstlerinteressen an; uns Zeitungsleuten entringt sich beim Gedanken an deren Strenge so mancher Seufzer. Ja, da kommt nämlich ein weiteres Rechtsinstitut zum Tragen: das Zitatrecht. Was ist erlaubtes Zitat, wo beginnt das unerlaubte oder zumindest honorarpflichtige Nachdrucken? Nachgerade heillos geworden sind die Zustände mit der digitalen Revolution, die die an ein Trägerobjekt – Buch, Grafik, Notenblatt – gebundene Kopie ausgehebelt hat zugunsten des individuellen Downloads. Privatnutzung oder Raubkopie? Einzelvergütung oder Gerätepauschale? Die Diskussion geht weiter, und sie wird erbittert ausgefochten. Zur Utopie der freien Verfügbarkeit über geistige Erzeugnisse gehört als Kehrseite der Horror der materiellen Schutzlosigkeit deren Urheber.

Unbezweifelbar ist der Schutz der geistig-künstlerischen Arbeit eine Errungenschaft, die es zumal im Zeitalter der digitalen Grauzonen mit ihren schier unübersehbaren Schlupflöchern zu verteidigen gilt. Ebenso unbezweifelbar geraten Buchverleger, Regisseure und Plattenfirmen immer wieder in Konflikte, die das Materielle übersteigen und auf künstlerische Eigensinnigkeiten treffen, die wiederum das hehre UN-Recht tangieren, „sich an den Künsten zu erfreuen“. Man denke nur an das beinharte Brecht-Imperium! Wie immer ist der Alltag ein steter Balanceakt, gelegentliche Abstürze inbegriffen. In Deutschland seit 1907.

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