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Der ferne Nachbar. Immer weniger junge Menschen in Dänemark wollen heute die Sprache des südlichen Nachbarn lernen.

© Getty Images/iStockphoto

Deutsch als Auslaufmodell: Warum Dänemarks Interesse an deutscher Kultur schwindet

Wegen der Corona-Pandemie kam das deutsch-dänische Jahr 2020 abrupt zum Ende. Doch Deutschlands kulturelle Bedeutung nimmt in Dänemark schon länger ab.

Sophie Wennerscheid ist Professorin für dänische Literatur am Institut für Nordische Studien und Sprachwissenschaft der Universität Kopenhagen. Bei Matthes & Seitz Berlin erschien zuletzt ihr Buch „Sex Machina – Zur Zukunft des Begehrens“.

Mit dramatischer Stimme und fest in die Kamera gerichtetem Blick führt der Schauspieler Lars Mikkelsen in der 2020 produzierten Dokudrama-Serie „Grænseland“ (Grenzland) durch ein bewegtes Stück dänisch-deutscher Geschichte und erklärt seinem Publikum, was es heißt, dänisch zu sein.

Dass aus dänischer Perspektive erzählt wird, ist verständlich. Dass es aber keine deutschen Untertitel gibt, ist schade. Denn so würde auch ein deutschsprachiges Publikum verstehen, weshalb Dänemark 1864 nach der verlorenen Schlacht an den Düppeler Schanzen die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an Preußen und Österreich abtreten muss und damit fast ein Drittel seiner Landesgröße einbüßt.

Zwar erhält der König die Zusage, dass die Bevölkerung Schleswigs bei gegebener Zeit selbst entscheiden könne, ob sie zu Dänemark oder zu Deutschland gehören will, doch bleibt das ein leeres Versprechen. Dramatisch wird die Situation, als die dänisch gesinnten jungen Männer aus Nordschleswig gegen ihren Willen für Deutschland in den Krieg ziehen müssen.

Erst als Deutschland den Ersten Weltkrieg verliert und die Grenzen Europas neu geordnet werden, wendet sich das Blatt. Bei den Friedensverhandlungen in Versailles kommt nun endlich die deutsch-dänische Grenzfrage auf die Agenda und 1920 wird per Volksabstimmung entschieden, dass aus Nordschleswig wieder das dänische Südjütland wird, Südschleswig inklusive Flensburg und Sylt aber deutsch bleibt.

Als König Christian auf hohem weißem Ross über die alte Grenze reitet, ist der Jubel bei den meisten Dänen groß. Enttäuscht sind jedoch die, die einen Grenzverlauf südlich von Flensburg gefordert hatten und nun dänische Minderheit in Deutschland sind. Und besorgt sind auch jene, die gerne Deutsche geblieben wären und jetzt Minderheit in Dänemark sind.

Corona-Epidemie fällt ins deutsch-dänische Freundschaftsjahr

100 Jahre nach dem historischen Ereignis, das in Dänemark unter dem Titel „Wiedervereinigung“ läuft, wird unter der Schirmherrschaft der Außenminister beider Länder das deutsch-dänische Freundschaftsjahr 2020 gefeiert. Auf beiden Seiten der Grenze finden zahlreiche Veranstaltungen statt, um die kulturelle Nähe der Nachbarländer zu betonen und die Grenzregion als Vorbild für ein friedliches Zusammenleben in Europa zu stärken.

Als Auftaktveranstaltung wurde im Januar im dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen eine große Deutschland-Ausstellung eröffnet. Es folgte ein Stummfilmfestival mit selten gezeigten deutschen und dänischen Produktionen. Doch dann hörten Mitte März wegen der Corona-Epidemie alle Feierlichkeiten abrupt auf und die deutsch-dänische Grenze wurde geschlossen.

Menschen, die uneingeschränkten Reiseverkehr gewohnt waren, sahen sich mit drastischen Beschränkungen konfrontiert. Vor allem die Mitglieder der jeweiligen nationalen Minderheiten waren irritiert darüber, dass gerade noch Verbundenheit beschworen wurde, nun aber nicht kulturelle Zugehörigkeit, sondern die Staatsbürgerschaft darüber entschied, wer wen besuchen durfte.

Schon als Dänemark im Jahr zuvor einen Zaun gegen Wildschweine aus Deutschland errichten ließ, um die Ausbreitung der sogenannten Afrikanischen Schweinepest zu verhindern, stellte sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen.

Coronakrise als Argument für bewachte Grenzen

Was ist gesundheitspolitisch sinnvoll, und wo werden diffuse Ängste vor dem bedrohlichen Fremden geschürt? Die nationalkonservative Dänische Volkspartei zumindest war schnell dabei, die Coronakrise als Argument anzuführen, um für den zentralen Punkt ihres Parteiprogramms zu werben: „Ein sicheres Land hinter einer bewachten Grenze.“

Dass sich die Partei mit der Forderung nach dauerhaften Grenzkontrollen nicht durchsetzen konnte, hat nicht zuletzt mit Wirtschaftsinteressen zu tun. Auf Druck des dänischen Touristenverbandes gab Ministerpräsidentin Mette Frederiksen deshalb am 29. Mai bekannt, dass die Grenze zumindest ein Stück weit wieder geöffnet werden sollte.

Seit dem 15. Juni, an dem auf den Tag genau vor hundert Jahren König Christian die deutsch-dänische Grenze überritt, können deutsche, norwegische und isländische Touristen wieder einreisen. Allerdings nur, wenn sie eine Ferienhausbuchung von sechs Tagen vorweisen und nicht in Kopenhagen übernachten.

Möchte der Partner einer dort lebenden Deutschen seine Freundin besuchen, muss er sich ihre Beziehung in einer schriftlichen Erklärung bestätigen lassen und an der Grenze vorzeigen. Die Anzahl Einreisender soll so gering wie möglich gehalten werden, aber ausreichend Geld ins Land kommen.

Regierung forciert „Dänen-zuerst-Nationalismus“

Doch bei Grenzangelegenheiten kann es nicht nur um harte Valuten gehen. Die Währung Freundschaft ist mindestens genauso wichtig, betont die dänische Direktorin des Thinktanks Europa Lykke Friis. Schärfer formuliert es der dänische Journalist und Autor Knud Vilby.

In seinen Augen forciert Frederiksens Regierung einen „Dänen-zuerst-Nationalismus“, der über die Abgrenzung nach außen Geschlossenheit nach innen bewirken soll. Dass die Ministerpräsidentin mit ihrer Hygge-Rhetorik, der dänischen Form identitätsstiftender Gemütlichkeit, nationale Interessen über europäische stellt, wird an der Ablehnung des von Angela Merkel eingeforderten Europäischen Hilfsfonds deutlich.

Dass der große Nachbar im Süden der wichtigste Handelspartner ist und in den dänischen Medien auf Deutschland als führende Kraft in Europa verwiesen wird, ändert nichts an der Tatsache, dass Deutschland als kulturelle Größe stark an Bedeutung verloren hat. Heute geben die angloamerikanischen Länder den Ton an. Selbst die Deutschland-Ausstellung wurde aus Großbritannien eingekauft.

Angst vor Mangel an Deutschlehrern

Bemerkbar macht sich die neue Leitkultur in Dänemark aber vor allem an der Unlust an Mehrsprachigkeit. Wer so hervorragend Englisch spricht wie die Dänen, ist wenig motiviert, eine weitere Fremdsprache zu lernen.

Obwohl dänische Wirtschaftsverbände betonen, dass es an Fachkräften mit Deutschkenntnissen mangelt und die Schulen befürchten, dass es bald keine qualifizierten Deutschlehrer mehr geben wird, sinken die Zahlen der Germanistik-Studierenden.

Von den rund 4500 Studienanfängern an der Universität Aalborg wählten 2019 nur fünf Studierende das Bachelorfach Deutsch. Trotz starker Proteste wurde der Studiengang daraufhin geschlossen. Der Germanistik an den übrigen Universitäten in Dänemark geht es aber besser als ihrem Ruf.

Die Grenzöffnung könnte den Austausch neu beleben

An der Universität Århus begeistert Professor Søren Fauth seine Studierenden für die deutsche Sprache, Literatur und Kultur. Einige seiner Studierenden produzieren dort die hörenswerte Podcastserie „Deutschstunde“. Und an der Universität Kopenhagen forscht man am Institut für Anglistik, Germanistik und Romanistik gemeinsam zu den Anfängen und der kulturellen Reichweite einer „European Republic of Letters“.

Wenn die Grenzen nun wieder öffnen und alle merken, wie sehr das Reisen und die Kultur während des Lockdowns gefehlt haben, bedeutet das für das deutsch-dänische Freundschaftsjahr 2020 eine neue Chance. In Kopenhagen jedenfalls wird nach der erzwungenen Pause wieder mit voller Kraft gearbeitet.

Sophie Wennerscheid

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