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Kultur: Deutsch soll es sein

Zum Abschluss von Marek Janowskis Schumann-Zyklus mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Der Funke springt über, als man die Hoffnung schon fast aufgegeben hat: Erst auf der Zielgeraden ihres fünfteiligen Schumann- Marathons gelingt Marek Janowski und seinem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin das, worum sie in 13 Werken zuvor vergeblich gerungen haben. In der zum Abschluss des letzten Konzerts gespielten vierten Sinfonie ist endlich eine schlüssige und spieltechnisch konkurrenzfähige Aussage zum sinfonischen Werk des Romantikers.

Der Zyklus ist das erste Projekt, mit dem das Rundfunk-Sinfonieorchester seinen Anspruch angemeldet hat, in der von den Stardirigenten Rattle, Nagano, Barenboim und Thielemann beherrschten Berliner Orchesterszene ein Wort mitzureden. Bislang galten die ehemals Ost-Berliner Radiomusiker als graue Mäuse, die unter ihrem bisherigen Chefdirigenten Rafael Frühbeck de Burgos solide, aber glanzlos das gleiche Repertoire wie die Konkurrenz spielten. Das soll nun anders werden, nachdem der Bund die über Jahre unsichere Zukunft des Orchesters in seiner vollsinfonischen Sollstärke garantierte und der 63-jährige Marek Janowski den Taktstock übernommen hat.

Durch eine Umorientierung des Repertoires will der neue Chef das Profil des RSB schärfen. Denn im Gegensatz zu den Rivalen am unteren Ende der Berliner Orchesterskala hat das RSB ein Identitätsdefizit: Während das Orchester der Komischen Oper in seinem Haus fest verankert ist, das Berliner Sinfonieorchester einen riesigen Abonnentenstamm (16 000) besitzt und selbst die kleinen Berliner Symphoniker durch ihre musikpädagogische Basisarbeit in ihrem Erscheinungsbild klar konturiert sind, hängt das wechselweise in Philharmonie und Konzerthaus spielende RSB in der Luft. Ein Image muss her, und wie das aussehen soll, verrät die Jahresvorschau: Die Musiker posieren im Reichstag, dessen Kuppel von Norman Foster prangt auch auf dem Titel des Programms zum Schumann-Zyklus.

Deutsch soll es also sein. Von daher war es nur konsequent, mit dem vielleicht deutschesten aller Komponisten zu beginnen. Eine kluge Wahl dazu: Weder hat einer der anderen Berliner Orchesterchefs besonderes Interesse am Schumannschen Œuvre gezeigt (allein mit der zweiten Sinfonie beschäftigt sich Christian Thielemann), noch hat sich bisher ein maßgeblicher Dirigent gefunden, der eine Synthese aus der romantischen deutschen Orchestertradition und den Erkenntnissen der historisierenden Aufführungspraxis versucht hätte.

Freilich zeigt der Zyklus schon am ersten Abend im Konzerthaus mit der „Frühlingssinfonie“, dass sich Janowski und das RSB einer solchen Auseinandersetzung gar nicht stellen wollen. Denn deren Schumann-Bild erschöpft sich vor allem im Vorzeigen handwerklicher Tugenden: Janowski ist ein grundehrlicher, ernster Kapellmeister, ein sorgfältiger Begleiter der Solokonzerte, ein umsichtiger Organisator von ausufernden Oratorien wie „Das Paradies und die Peri“. Ein Ausdrucksmusiker oder gar ein stilistisch reflektierender Dirigent ist er nicht.

Er ist daran interessiert, eine Besetzung so zu wählen, dass ein Gleichgewicht zwischen Gewichtigkeit und Transparenz erzielt wird, er sucht Tempi, die die Strukturen dynamisieren, ohne sie zu verwischen. Immer herrscht in den Ecksätzen ein leichter Überdruck, der zwar oft, wie im emphatischen Kopfsatz der „Rheinischen“ seltsam richtungslos bleibt, im Glücksfall der Vierten jedoch den sinfonischen Verarbeitungsprozess wie von selbst am Laufen hält. Vielleicht ist es kein Wunder, dass dieses abstrakte Ideal eines selbstversorgenden Mechanismus bei der Vierten (in der revidierten Version) am ehesten aufgeht: Nirgendwo hat Schumann den zyklischen Charakter der Gesamtanlage deutlicher gefasst.

Doch spätestens da, wo das Disparate in Schumanns Sinfonik stärker hervortritt, werden die Schwächen von Janowskis Herangehensweise offenbar. Seine straffe, zum Funktionieren verurteilte Musizierhaltung mag als Gegenposition zur spätromantischen Breite der voraufgehenden Dirigentengeneration in den 70er Jahren neu und erfrischend geklungen haben – heute wirkt sie bloß banal.

Nie hört man bei Janowski etwas von der Zerrissenheit Schumanns. Die emotional auseinander driftenden Motive, die einen quälenden Gegensatz von extrovertiertem Vorwärtsdrang und lyrischer Verweigerungshaltung aufbauen, werden dem großen Fluss untergeordnet. Die poetisch-illustrativen Momente (etwa in den Charakterbildern der „Rheinischen“) werden ebenso ins stromlinienförmige Klangbild eingeordnet wie die stilistischen Querbezüge, in denen sich Schumanns Auseinandersetzung mit der Tradition von Bach bis Beethoven zeigt.

Der Erkenntnisgewinn dieses Zyklus’ bleibt auf diese Weise erschreckend gering – und das Deutsche, dem hier auf den Grund gegangen werden sollte, beschränkt sich auf den kleinbürgerlichen Radius leidlich funktionierender Betriebsamkeit. Das ist wohl das letzte, was Schumann im Sinn hatte.

Jörg Königsdorf

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