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Computerliebe. Kraftwerk bei ihrem New Yorker Auftritt. Foto: Reuters

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Deutsche Musik: Im Rückwärtsgang

Mehr noch als eine Musealisierung vollzieht hier sich eine Gentrifizierung: Kraftwerk eröffnen mit „Autobahn“ ihre Konzertreihe im New Yorker MoMA.

Alles ist so wie immer – trotz des ungewöhnlichen Orts. Vier Herren in schwarzen Neoprenanzügen mit weißen Rasterstreifen stehen im Dunkeln hinter keyboardartigen Computern, und niemand versteht so recht, was diese Figuren da eigentlich machen.

Kraftwerk führen im Atrium des New Yorker Museum of Modern Art ihre 1974 erschienene Platte „Autobahn“ auf, danach eine Auswahl ihrer größten Erfolge. Ein Schema, dass sie in den nächsten Tagen wohl auch bei den Aufführungen sieben weiterer Alben anwenden werden. Die moderaten 3-D-Effekte auf den Videoleinwänden hinter ihnen betrachtet das Publikum durch entsprechende Brillen. Die Filme, von denen einige offenbar für diesen Anlass produziert wurden, ergänzen den statischen Auftritt der Band. Im Gleichklang mit der monotonen, ja teilnahmslosen Musik schweben die Bilder gemächlich durch den virtuellen Raum.

Die dabei verwendete Computergrafik scheint aus dem Jahr 1984 zu stammen und fügt sich organisch zu den behäbigen Soundeffekten, die Kraftwerk nie auf den neuesten Stand gebracht haben. Die Düsseldorfer machen keinen Hehl daraus, dass die von ihnen in den siebziger und achtziger Jahren entworfene Zukunft von der Wirklichkeit längst überholt worden ist. Sie steigern die nostalgische Stimmung noch, indem sie alte VW-Käfer zeigen, die gemächlich auf zweispurigen Autobahnen fahren oder Schriftzüge, die an russische Propagandaplakate aus den zwanziger Jahren erinnern. Film und Musik spiegeln einen Zukunftsglauben, der sich bei Kraftwerk schon immer als sentimental und daher obsolet dargestellt hat.

Mittlerweile kommt kaum noch ein Popkonzert ohne Videoprojektionen aus. Bei Kraftwerk nehmen sie jedoch eine grundlegendere Bedeutung ein, nicht zuletzt, weil die Band bei ihren Auftritten nahezu unter der Leinwand verschwindet. Da der Musik nichts Improvisiertes anhaftet und sie sich im Dauerloop abzuspielen scheint, gleichen Kraftwerk-Konzerte in der Tat Videoinstallationen. So wie Popmusik ein essenzieller Bestandteil der Arbeiten vieler visueller Künstler ist, wie etwa der von Pipilotti Rist oder Chris Cunningham, sind die Videos ein essenzieller Bestandteil von Kraftwerks Performances.

Es ist also durchaus sinnvoll, dass Klaus Biesenbach, Gründer der Berliner Kunstwerke und nun schon seit mehreren Jahren als Kurator am MoMA tätig, sie in den Tempel der modernen Kunst nach New York eingeladen hat. Kraftwerk sind nicht einfach nur eine Band, sie sind ein Kunstprojekt– ein unglaublich einflussreiches obendrein. Dass die vier Musiker nun musealisiert werden, ist nur konsequent. Gerade ihr Beispiel zeigt, dass eine Unterscheidung zwischen bildender Kunst und Popmusik längst hinfällig geworden ist, wie auch Diedrich Diederichsen ausgeführt hat (Tagesspiegel vom 10. April).

Für Kraftwerk ist New York ein auch in ihrer eigenen Historie wichtiger Ort, denn hier fand die erste US-amerikanische Rezeption der Techno-Pioniere statt. Afrika Bambaataas „Planet Rock“ von 1981, der gemeinhin als Gründungstrack des elektronischen Hip-Hops gilt, basiert auf einem Sample von „Trans Europa Express“. Es waren schwarze Hip-Hopper aus Harlem und der South Bronx, die Kraftwerk für sich und ihre Musik entdeckten. Sie leiteten auch die erste von Diederichsen beschriebene Wiederverwertungsrunde ein, denn Kraftwerk spielten nun ihren Back-Katalog nochmals auf herrlichstem Denglisch ein („Pocket Calculator“, „Computer World“) und lieferten Instrumentalversionen der Stücke, die den DJs und Hip-Hoppern die Arbeit erleichterten.

Doch nichts weist am Dienstag auf diesen für den Welterfolg der Band so wichtigen Hintergrund hin. Stattdessen versammelt sich der übliche exklusive Kreis der potenten New Yorker Kunstschickeria bei dem von VW gesponsorten Event. Mehr noch als eine Musealisierung vollzieht sich im MoMA also die Gentrifizierung von Kraftwerk. Daran ändert auch nichts, dass am Samstag mit Juan Atkins ein alter Held des Detroit Techno im PS 1, einer Filiale des MoMA, auflegen wird.

Wie schon so oft in der Geschichte dieses Museums findet Kanonisierung hier bei gleichzeitiger historischer Dekontextualisierung statt. Diese Politik, die das Museum seit seiner Gründung durch Alfred Barr verfolgt, wurde zwar immer wieder heftig kritisiert, jedoch nie geändert. Das Beispiel von Kraftwerk bezeugt dies nun abermals. Benjamin Paul

Benjamin Paul

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