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Brunhild, die Herrscherin von Isenland, die Siegfried für Gunther bezwingt.

© Murnau-Stiftung

Deutsche Oper: Gemetzel bei Etzel

Spektakulär: Die Deutsche Oper Berlin zeigt die rekonstruierte Fassung von Fritz Langs "Nibelungen". Die Wucht und finstere Dramatik wird, dank Frank Strobel und dem sich engagiert durch die Partitur spielenden Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, geradezu körperlich spürbar.

Sie sind orange geworden, die Nibelungen. Ein warmes, dunkles, angenehmes Orange. Es ist die Originaleinfärbung, die bei der Restaurierung von Fritz Langs Monumentalwerk von 1924 wiederhergestellt worden ist. Keine harten Kontraste mehr, kein expressionistisches SchwarzWeiß. Für die Augen ist das, bei der über fünfstündigen Wiederaufführung mit Orchesterbegleitung in der Deutschen Oper Berlin, ausgesprochen angenehm.

Warm? Angenehm? Und das bei dem wohl finstersten, pessimistischsten Film der deutschen Stummfilmgeschichte? Bei den „Nibelungen“ ist inhaltlich eigentlich alles schwarz-weiß und überlebensgroß, ganz selten nur sind die hellen, lichten Momente, ein kurzes Liebesglück, ein blühender Busch, ein leuchtender Birkenwald. Doch dann, in unaufhaltsamer Abwärtsbewegung, verfinstert sich die Welt, werden alle hinabgerissen in den Strudel von unversöhnlicher Rache und Vergeltung. Wer immer die „Nibelungen“ missverstanden hat als nationales Epos, als Beweis von Großmannssucht und präfaschistischer Menschenverachtung, hat das nicht gesehen: Dass am Ende alles verloren ist. Durch eigene Schuld. Dass Hitler sich ausgerechnet diesen Film zum Lieblingsfilm erwählte, verrät viel.

Die Wucht und finstere Dramatik wird in der Deutschen Oper, dank Frank Strobel und dem sich engagiert durch die Partitur spielenden Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, geradezu körperlich spürbar. Paukenschläge künden von Krieg und Tod, rasende Streicherläufe begleiten die wilde Jagd der Hunnen, das Liebesmotiv, das von Kriemhilds und Siegfrieds kurzem Glück kündet, verdunkelt sich immer mehr. Am Ende verblasst die Musik von Gottfried Huppertz fast zur Tonlosigkeit.

Ohne erkennbaren Anlass ist das Jahr 2010 plötzlich zum Fritz-Lang-Jahr geworden, mit gleich zwei großen Wiederaufführungen. Vier Jahre lang hat die in Wiesbaden angesiedelte Murnau-Stiftung, die sich um den Erhalt des Filmerbes kümmert, an der Restaurierung der Lang’schen „Nibelungen“ gearbeitet, gemeinsam mit dem Londoner Kopierwerk PresTech. Die Wiederaufführung hätte der glanzvolle Höhepunkt, das Filmereignis des Jahres werden sollen. Doch dann kam, Pech und Glück zugleich, „Metropolis“ dazwischen, der Überraschungsfund verschollener Filmteile im Archiv von Buenos Aires. So hat, im Februar während der Berlinale, die „Metropolis“-Wiederaufführung samt Open-Air-Übertragung den „Nibelungen“ die Schau gestohlen.

Vier Jahre Arbeit an einem Projekt, das 750.000 Euro kostete

Zugegeben: Ganz so spektakulär sind die Restaurierungserfolge hier nicht. Wo sich bei dem Torso „Metropolis“ ganze Filmpassagen und -figuren neu und endlich einmal organisch in die Handlung fügen, ist die Ausgangslage der drei Jahre früher entstandenen „Nibelungen“ von jeher besser gewesen, vor allem, was den ersten Teil „Siegfrieds Tod“ angeht. Im zweiten, pessimistischeren Part „Kriemhilds Rache“ hatte zwar die Ufa kräftig eingegriffen, hatte mit Kürzungen und Binnenwiederholungen aus dem ersten Teil versucht, die Negativfärbung des Stoffs etwas aufzuhellen, allein: Die dafür geopferten Passagen sind nach wie vor verschollen. Nur eine einzige kurze Einstellung konnte, nach Abgleich mit einigen in der Berliner Kinemathek aufbewahrten Outtakes, wiederhergestellt werden.

Es ist allerdings eine entscheidende, nämlich die Szene mit Kriemhilds Tod. War die in ihrem monströsen Rachefeldzug zu einer orientalischen Rachegöttin mutierte Burgunderkönigin nach blutiger Erfüllung ihrer Rache bislang entseelt zusammengesunken, ist nun erkennbar, dass ein Schwertstreich sie fällt. Der alte Hildebrand, Gefährte Dietrichs von Bern, konnte nicht ertragen, dass eine Frau für den Tod des Burgunderhofes verantwortlich ist, und erschlägt sie.

Ehre, Rache, Treue: Die hehren Begriffe, nach denen hier gehandelt wird, erscheinen in der Tat unzeitgemäß und vorbelastet. Wenn Dietrich von Bern irgendwann orakelt: „Du kennst die deutsche Seele nicht, König Etzel“, reizt das in der Deutschen Oper nur noch zum Lachen. Und natürlich ist auch die Zeichnung der Hunnen als Wilde, irgendwo zwischen Indianer und Affen, die auf Bäumen hocken, im Mist leben und wie Tiere halbnackt in den Kampf stürmen, rassistisch genug, um schlimmste Vorurteile zu bestätigen.

Andererseits ist Rudolf Klein-Rogge, der Ex-Mann von Langs Drehbuchautorin Thea von Harbou, als König Etzel der einzige Schauspieler mit erkennbarer Entwicklung, dem die Liebe zu Kriemhild und das Glück über den spät geborenen Sohn geradezu kindlich anrührende Züge verleiht. Ansonsten sind da nur stiere Blicke, versteinerte Gesichter – und ein Hochziehen der Augenbrauen oder Zukneifen des Auges schon das höchste der Gefühle. Brunhild (Hanna Ralph), die verratene Königin, ist in ihrem schwarzen Zorn, ihrer amazonenhaften Wendigkeit noch am eindrucksvollsten. Kriemhild (die blonde, brave Margarethe Schön) entwickelt erst in ihrem Rachefeldzug so etwas wie Leben. Und Hagen schließlich (Hans Adalbert Schlettow) ist ganz das Schreckbild des Schurken, mit schwarzem Helm, finsterem Bart und Eisenhand.

Nein, Schauspielerleistungen sind es nicht, von denen „Die Nibelungen“ leben. Es ist das bis heute innovative Setdesign. Der Wald, den Fritz Lang aus riesigen Betonbäumen errichten ließ, um dann zu warten, bis Schnee darauf fiel. Die Burgunderburg, auch sie ein Betonbau, der mit seinen aufragenden Türmen entfernt an das zeitgleich entstandene Tannenberg-Denkmal erinnert. Die an Art Nouveau geschulte geometrische Ornamentik mit ihren Diagonalen und farbigen Feldern, die Schilde und Kleider, Wände und Wandvorhänge zieren.

Dass ihm die Form, die Ausstattung wichtiger waren als der Inhalt, kann man Fritz Lang immer zum Vorwurf machen, bei den „Nibelungen“ wie bei „Metropolis“. Für das Kino als visuelle Kunst hätte es anders nicht sein dürfen.

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