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Hellmuth Karasek: Sein Humor gründete auf den Geistern von Kurt Tucholsky und Alfred Polgar.

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Hellmuth Karasek zum 80.: Deutschlands erster Pop-Journalist

Großer Feuilletonist, geistvoller Buchautor und amüsanter Unterhalter: Hellmuth Karasek feiert am Sonnabend seinen 80. Geburtstag.

Manche Menschen tragen ihr Geheimnis im Gesicht, es liegt scheinbar offen zutage. Und doch lässt es sich schwer enträtseln. Man kann es nur beschreiben. Hellmuth Karaseks Gesicht ist solch ein Wunder. Das kleine Wunder eines großen Journalisten.

Er schaut nämlich meistens sehr melancholisch drein, und unterhalb der Augen scheint seine Miene oft abzustürzen. Ins Bodenlose oder abgründig Missmutige. Wer ihn nicht besser kennt, glaubt einem Misanthropen par excellence zu begegnen. Doch im nächsten Moment fliegt ein Engel oder Bengel durch den Raum (oder ein Stichwort). Karaseks eben noch trüb umflorte Augen beginnen hinter den Brillengläsern zu blitzen – und Karasek explodiert. In einen Witz, in die klug, weil unverhofft gesetzte Pointe, sein sonore Stimme nimmt Fahrt auf, schwingt sich empor oder herab, weil ihm wenig Menschliches fremd ist, in eine geistvolle Anekdote, in einen Exkurs, in dem reich Erlesenes und viel Erlebtes sprühen.

Wir haben darüber in gemeinsamen Redaktionskonferenzen beim Tagesspiegel, dessen Mitherausgeber er von 1997 bis 2004 war, und zuvor oder danach in manchen Gesprächen gestaunt. Fernsehzuschauer, ob einst im „Literarischen Quartett“ oder bei Thomas Gottschalk, Harald Schmidt, Günter Jauch oder in allerlei Quizsendungen, kennen das auch. Champagnerlaune, selbst wenn nur Selters auf dem Tisch steht.

Er führte die Autorennamen im "Spiegel" ein

Karasek, der Humorist, ist natürlich, daher vielleicht der erste ernste Blick, auch ein Kind von Traurigkeit. Weil selbst das glücklichste Kind irgendwann erfährt, was Trauer ist, dazu muss man nicht Marcel Proust oder Professor Freud gelesen haben. Karasek, geboren in Brünn, hat in seiner vor zehn Jahren, zum 70. Geburtstag, erschienenen Autobiografie „Auf der Flucht“ davon erzählt, wie seine böhmisch-mährische Kindheit nach der Weihnacht 1944 geendet ist, wie er noch als Schüler einer NS-Erziehungsanstalt den Schatten der einen Diktatur und im sowjetisch besetzten Ostdeutschland den Beginn der nächsten Unfreiheit erfahren hat.

Er ging in den Westen, studierte und promovierte in Tübingen, war Eleve bei der „Süddeutschen Zeitung“ und mit 32 Chef im damals bedeutenden Feuilleton der „Stuttgarter Zeitung“, wechselte für ein Jahr als Dramaturg ans Stuttgarter Theater, war ab 1968 brillanter Theaterkritiker der „Zeit“, und leitete bis 1996 über zwanzig Jahre das Kulturressort des „Spiegel“. Dort hat er so recht eigentlich den Kulturjournalismus, das wöchentliche Feuilleton erst etabliert – unter anderem durch die für das Magazin damals revolutionäre Einführung des (sonst fast nur dem Herausgeber Rudolf Augstein vorbehaltenen) Autorennamens.

Als ich für den „Spiegel“ einmal eine größere Geschichte anlässlich eines neuen Buchs von Günter Grass schrieb, war das ein herber Verriss. Karasek fand den langen Text gut, sagte aber am Telefon, dass man des Layouts wegen etwas kürzen müsse. Ich bat ihn um eine milde Amputation, denn wenn ich Grass schon so angreifen würde, wollte ich die Kriterien auch offenlegen. Karasek antwortete: „Ich verstehe. Aber wenn Sie dem Koch im Restaurant sagen, dass sein Fisch nicht ganz frisch ist, müssen sie ihm nicht unbedingt noch sagen, dass Ihnen sein Fischbesteck nicht gefällt!“

Karasek ist gebildet, doch nie eingebildet. Als ich bei der Zeitschrift „Theater heute“ arbeitete, war er natürlich unser Autor. Auch eine Zeit lang Kolumnist. Einmal hatten wir irgendeinen Einwand, den er auch hätte ignorieren können, doch er schickte sofort einen neuen, noch besseren Text. Bei diesem oder einem anderen Anlass erfand er dann die wunderbare, auf entsprechende Telefonate mit der Redaktion bezogene Überschrift „Wenn die Postmoderne zweimal klingelt“.

Sein Humor gründete auf den Geistern von Kurt Tucholsky und Alfred Polgar

Man hat Karasek, der neben drei Theaterkomödien, einem Schlüsselroman über den „Spiegel“ („Das Magazin“) und etlichem mehr auch höchst lesenswerte Bücher über Brecht, Carl Sternheim, seinen Freund Billy Wilder oder über Handys und zuletzt ein Kompendium des Witzes geschrieben hat, man hat ihm bisweilen vorgeworfen, dass er auf zu vielen Hochzeiten tanze. Mit der ihm eigenen Schlagfertigkeit würde er darauf vermutlich antworten: Ich tanze lieber auf Hochzeiten als bei Begräbnissen. Hellmuth Karasek hat als erster Hochkulturjournalist die Barriere zwischen E- und U-Kultur mühelos übersprungen. Als später früher Pop-Journalist.

Der Charme des melancholisch wirkenden Humoristen aber gründet auf den Geistern von Kurt Tucholsky und Alfred Polgar (der elegantesten Feder zwischen Wien und Berlin vor 1945); und als ihn das Theater nach Rudolf Noelte, Peter Stein und Peter Zadek ein wenig erschöpft hatte, waren seine Fixsterne längst Billy Wilder, Woody Allen oder der bayerisch-universelle Filmkomödiant Helmut Dietl geworden. Wegen eines nicht gedruckten Artikels über Dietl verließ er den „Spiegel“ – und war im Recht. Jetzt schreibt er übrigens für die „Morgenpost“ oder das „Hamburger Abendblatt“.

Über ihn haben vor zehn Jahren im Tagesspiegel als Gratulanten sein Freund Marcel Reich-Ranicki sowie Joachim Kaiser und Iris Radisch geschrieben. Als ich den großen Kaiser, der selber gerade 75 geworden war, um diesen Geburtstagsgruß für H. K. bat und ihn fragte, wie es ihm so gehe, antwortete er: „Ach ja, man verträgt im Alter dummerweise nicht mehr so viel Champagner.“ Möge Hellmuth Karasek noch viel von diesem ganz besonderen Saft vertragen, nicht nur heute zu seinem 80. Geburtstag!

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