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Kultur: Dicke Fische - Über Wendeschicksale in Brandenburg

Lenne in der Disko: Ziellos streift er herum, noch eine Runde, noch ein Bier. Nur nicht auffallen als Einzelgänger.

Lenne in der Disko: Ziellos streift er herum, noch eine Runde, noch ein Bier. Nur nicht auffallen als Einzelgänger. Der Mann ist einsam, das sieht man sofort: an dem Verliererblick, der niedergedrückten Haltung, dem hässlichen Polohemd und der Eichenküche daheim. Keine Frau sieht ihn auch nur an, für die Mutter ist er ein Versager und für das Arbeitsamt ein hoffnungsloser Fall. Ein Wendeverlierer auch: Weil Lenne in Brandenburg lebt, kann er sagen: "Damals in der DDR war alles besser" und hat zumindest in Gedanken eine Fluchtmöglichkeit in die Erinnerung, wo sonst nur die Einsicht in das eigene Versagen bliebe.

Drei solche Verliererschicksale aus Burg haben Judith Keil und Antje Kruska in ihrem ZDF-Dokumentarfilm "Ausfahrt Ost" begleitet, haben sich ihre Kinderfotos zeigen lassen und sie nach ihrem Leben befragt. Entstanden ist ein Nachwendefazit von erdrückender Ausweglosigkeit. Keine Jobs, keine Freunde, keine Frauen, keine Hoffnung. Nach Burg, in das Brandenburger Kaff an der Autobahn, kommt man nicht und kommt nicht weg von dort: Sogar die Autobahn ist meist mit Stau verstopft, und weiter als bis zur Tankstelle sind die Porträtierten ohnehin nie gekommen.

Ob die Tristesse wirklich der Wende geschuldet ist - der Film lässt es offen. Sicher, das Personal im Arbeitsamt, das von "Integrationsvorschlägen" und "Motivationssteigerung" spricht, wäre Lenne sonst wohl erspart geblieben, ebenso die Demütigung im Computerkurs. Niko dagegen, der mit über dreißig noch daheim bei Mutter und Großmutter lebt, wäre wohl auch sonst nicht glücklich geworden: Schüchtern, dicklich und bequem, ist er verzweifelt auf der Suche nach einer Frau. Herzzerreißend, wie er sich von Freunden alberne Kontaktanzeigen diktieren lässt, wie er mit der Gewissheit "Mir schreibt doch keine" jeden Morgen an den Briefkasten geht. "Mir würde es leichter fallen, beim Angeln einen Fisch anzusprechen als eine Frau in der Disko", bekennt er ehrlich. Ein dicker Fisch an der Leine ist tatsächlich das Beste, was er kriegen kann.

Nur Heiko, der sich Tomcat nennt, hat einen Ausweg gefunden. Der Western- und Countryfan stolziert durchs Dorf, trifft sich mit seinem Freund zu Pistolenduellen an der Autobahn und kann sich zumindest ganz weit wegträumen: nach Amerika. Ein Traum, mehr nicht.Kino in der Brotfabrik

Christina Tilmann

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