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Sibyl Moholy-Nagy im Jahr 1927.

© Laszlo Moholy-Nagy

Eine Biografie zu Sibyl Mohol-Nagy: Die Bienenkönigin der Moderne

Die Architekturkritikerin Sibyl Moholy-Nagy ist weit weniger bekannt als ihr Ehemann László. Eine neue Biografie will diese Lücke schließen.

"Mutig, eigensinnig, streitsüchtig, humorvoll, unverblümt, einfallsreich, lebhaft, engagiert" beschrieb der Chefredakteur der amerikanischen Fachzeitschrift Progressive Architecture Sibyl Moholy-Nagy. Es bedurfte einer starken Persönlichkeit, um sich als Frau und Emigrantin in der Architekturwelt der Nachkriegszeit zu behaupten. Jetzt widmen Hilde Heynen und die Stiftung Sächsischer Architekten der Pionierin moderner Architekturkritik eine Biografie - und rückt den Namen der gebürtigen Dresdnerin ein stückweit ins Blickfeld derjenigen, die im Jubiläumsjahr bisher nur ihrem multitalentierten Ehemann, der Bauhausprominenz László Moholy-Nagy, begegnet waren.
Sie war die erste weibliche Architekturwissenschaftlerin mit einem Lehrstuhl am New Yorker Pratt Institute. Das war 1960, als die Studenten ihre "Star-Performerin" gar den Bauhausdirektoren Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe gleichstellten, die in Harvard und Chicago lehrten. Als einstige Sibyl Peach in der Berliner Schauspielindustrie der Zwanziger Jahre wusste sie sich zu inszenieren, füllte nicht nur Hörsäle mit ihren redegewandten Auftritten, sondern auch den eigenen Lebenslauf mit nie absolvierten Uniabschlüssen.

Für sie musste eine Ausbildung im Buchhandel genügen

Tatsächlich gewährte ihr Vater, der Werkbund-Architekt Martin Pietzsch, ausschließlich seinem männlichen Nachkommen Abitur und Studium; ihr musste eine Ausbildung im Buchhandel genügen. Ebenso wenig Spielraum zur eigenen Entfaltung bot Sibyl das Leben mit László, war es doch durchzogen von der beschwerlichen Zeit im Nationalsozialismus, diversen Stationen im Exil, der Erziehung ihrer beiden Töchter, seinem einnehmenden Beruf und schließlich seiner tödlichen Krankheit. "Ein Totalexperiment" hieß die Biografie über ihren verstorbenen Partner, deren Autorin sie war. Walter Gropius schrieb das Vorwort dazu. Damit startete 1950 die erfolgreiche Karriere von Sibyl Moholy-Nagy in der Lehre wie im kritischen Architekturdiskurs. Bei Forschungsreisen beschäftigten sie die Ursprünge nativer Siedlungen der USA.

[Hilde Heynen, Stiftung Sächsischer Architekten (Hrsg.): Sibyl Moholy-Nagy. Kritikerin der Moderne. Sandstein-Verlag, Dresden 2019. 192 S. m. 78 Abb., 20 €. Ausstellung "László Moholy-Nagy und die Neue Typografie", noch bis 15. September, Kunstbibliothek Berlin am Kulturforum]

Die europäische Baugeschichte verband sie mit zeitgenössischen Fragen, wobei es ihr Sarkasmus war, dem sie ihre Popularität in der Leserschaft verdankte. So lautete Sibyls scharfes Urteil über den Wiederaufbau der Stalinallee nach ihrem Berlinbesuch zur Internationalen Bauausstellung: "In Westdeutschland ist die Architektur standardmäßig missraten; in Ostdeutschland ist sie es per Dekret". Mit der Studentenrevolte der 68er liegt die Einzelkämpferin über Kreuz. Zu eng erscheinen ihre Ansichten, zu kurz geraten ihr Engagement für die Gleichstellung von Afroamerikanern, zu wenig solidarisch mit dem weiblichen Nachwuchs. Letzteres bezeichnet Hilde Heynen, die Autorin des Buches, als "Bienenkönigin-Phänomen".

Im Schatten berühmter Männer

Idealistische Erwartungen an ein weibliches Ausnahmebeispiel erfüllt die belgische Architekturprofessorin Hilde Heynen mit der Dokumentation des Werdegangs der deutsch-amerikanischen Kritikerin nicht. Doch bereichert sie das Wissen um die im Schatten ihrer berühmten Männer zu wenig beachteten modernen Frauen in Kultur und Architektur jener Zeit, womit es zugleich neugierig macht, sich mit Lucia Moholy-Nagy auseinanderzusetzen, der faszinierenden ersten Ehefrau von László Moholy-Nagy. Dessen Ausstellung zur Neuen Typographie feiert übrigens derzeit nach 90 Jahren in der Berliner Kunstbibliothek ihr Comeback.

Therese Mausbach

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