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Kultur: Die Blutspur

Wichtiger als der Weg aus der Finanzkrise erscheint der Berliner Politik in diesen Tagen der Weg aus dem Labyrinth der deutschen Teilungsgeschichte, wichtiger als der Abbau des Klinikums Steglitz beispielsweise die Errichtung neuer Denkmäler. Historiker geben den Koalitionsparteien Checklisten an die Hand, um Reichweite und Tauglichkeit der historischen Richtigstellungen und Abbitten zu kontrollieren, die die SPD der PDS abzuverlangen habe.

Wichtiger als der Weg aus der Finanzkrise erscheint der Berliner Politik in diesen Tagen der Weg aus dem Labyrinth der deutschen Teilungsgeschichte, wichtiger als der Abbau des Klinikums Steglitz beispielsweise die Errichtung neuer Denkmäler. Historiker geben den Koalitionsparteien Checklisten an die Hand, um Reichweite und Tauglichkeit der historischen Richtigstellungen und Abbitten zu kontrollieren, die die SPD der PDS abzuverlangen habe. Historiker bewerten die publizierten Aussagen der Regierung zu Fragen der deutschen Vergangenheit je nach Standort als wichtigen Anfang - oder als fatales Ausweichen vor der Kardinalverurteilung der zweiten deutschen Diktatur.

Immerhin wird die Klientel einer Partei, deren Mitglieder zu zwei Dritteln früher das Parteibuch der SED besaßen, in der Präambel gar nicht so wenig zugemutet. Von ostalgischer Verharmlosung ist in ihr nichts zu spüren. Die Koalitionsvereinbarung erinnert daran, dass vielen Menschen in Ost und West die leidvolle Teilung bis heute in schrecklicher Erinnerung ist, die Berliner Mauer zu einem Symbol der Menschenverachtung wurde und das unmenschliche Grenzregime mitten in Deutschland Familien und Freunde auseinandergerissen habe. Das sind klare Sätze in einer Diktion, die jedem Leser des "Neuen Deutschland" bis vor zwölf Jahren nur als Sprache des westlichen "Klassenfeindes" vertraut war.

Wenn in der Koalitionsvereinbarung weiter von der "unheilvollen Geschichte" der SED und ihren "Unrechtstaten", von ihrer "bleibenden Schuld" bei der Verfolgung von Sozialdemokraten und anderen Teilen der demokratischen Opposition die Rede ist, ja vom "Totalitarismus" des DDR-Systems und vom 17. Juni als "Volksaufstand", dann ist die PDS im Westen angekommen. Wem das zu wenig ist, der kann folgerichtig nur noch die Selbstauflösung der SED-Nachfolgepartei fordern, nicht aber mehr einen Anschlag auf die historische Wahrheit beklagen.

Alte Grabenkämpfe

Nun geht es im Präambelstreit gar nicht um die Wahrheit, sondern um die Zumutbarkeit gegenüber der eigenen Klientel. Austritte prominenter Sozialdemokraten signalisieren der SPD-Führung, dass sie sich mit weniger nicht hätte zufrieden geben dürfen. Das Grummeln der Basis, die von ihrem Glauben an die DDR als legitimer antifaschistischer Alternative zum Bonner Restaurationsstaat nicht lassen mag, zeigt Gysis Wende-Sozialisten, dass das Tauschgeschäft zwischen historischer Reue und politischer Macht seine Belastungsgrenze erreicht hat. Die Präambel ist im Kern ein politisches Ereignis, bei dem die Frage, wie sie zustande kam, nicht weniger zählt als der sachliche Inhalt, den sie enthält. Nicht umsonst steckt in keiner ihrer Distanzierungsformeln eine solche Brisanz wie in dem trotz aller Koalitionsanstrengungen nicht verborgen gebliebenen Umstand, dass der Text im wesentlichen aus der sozialdemokratischen Feder Peter Strieders stammt und also die Präambel zu einem historischen Diktat der SPD über die PDS geraten konnte, weil im entscheidenden historischen Moment Gregor Gysis Faxgerät streikte.

Ein neues Handlungsfeld eröffnet die Absichtserklärung der Berliner Koalition, zusammen mit der Erinnerung an NS-Herrschaft und SED-Diktatur auch einen künstlerischen Wettbewerb für ein Rosa-Luxemburg-Denkmal in Berlin-Mitte auszuschreiben. Sofort ist es mit der breiten Zustimmung vorbei, die die seit langem in dieser Richtung arbeitende Initiative "Ein Zeichen für Rosa Luxemburg" noch vor Jahresfrist gefunden hatte. Heinrich August Winkler fand jüngst gar, dass die SPD mit der Zustimmung für ein Rosa-Luxemburg-Denkmal ihr Selbstbild verrate, sich gegen ihre eigene historische Leistung richte: die Gründung der ersten deutschen Demokratie 1919.

Das Verbrechen als Staatsnotwehr

Aber eine solche Sicht kommt einem Rückfall in alte Grabenkämpfe der historischen Forschung gleich. Man mag darüber streiten, ob der linksradikale Kampf gegen Ebert, Scheidemann, Noske in den Wirren der Revolutionszeit die eigentliche Belastung der neuen Demokratie darstellte. Es gibt Gründe zu vermuten, dass der Geburtsfehler der Weimarer Republik im Gegenteil in der Mobilisierung der antidemokratischen Rechten für eine Regierung lag, die aus Sorge vor einer zu tief greifenden Umwälzung den Pakt mit alten Eliten suchte.

Rosa Luxemburg war keine Demokratin, und sie wollte ein "Sowjet-Deutschland" statt einer parlamentarischen Demokratie. Unzweifelhaft aber steht ihr Name heute zuallererst für die mit ihrer Ermordung einsetzende Blutspur einer staatlich lange geduldeten, juristisch vielfach begünstigten und gesellschaftlich weithin akzeptierten Politik der Gewalt von rechts, an der die Republik von Weimar schließlich zugrunde gehen sollte. Er steht im Westen Deutschlands für die Kontinuität eines unheilvollen Freund-Feind-Denkens, aus dem heraus die Bundesregierung noch 1962 das Freikorpsverbrechen an Rosa Luxemburg als "standrechtliche Erschließung" Staatsnotwehr in Schutz zu nehmen für angebracht hielt. Er steht gleichzeitig im Osten Deutschlands für ein demokratisches Aufbruchsdenken, das die Vergangenheitsverwaltung des SED-Regimes in den achtziger Jahren mit dem bekannten Luxemburg-Zitat über die Freiheit der Andersdenkenden in die legitimatorische Enge trieb und 1988 die rituelle Konsensbeschwörung der kommunistischen Führungsriege im Zeichen Liebknechts und Luxemburgs auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde öffentlich als bloße Farce zu demaskieren vermochte.

Ob Rosa Luxemburg mit einem Denkmal zu ehren sei oder nicht, ist in erster Linie keine Frage für Historiker. Wofür sie als Symbol dient, hängt am wenigsten von ihr selbst und ihrer Leistung oder ihrem Versagen ab, sondern vor allem von dem Willen der Nachwelt, sie als historische Legitimationsinstanz in Anspruch zu nehmen oder zu verurteilen.

Geschichtspolitik bleibt Politik mit der Geschichte, auch wenn sie von hüben und drüben mit den Argumenten der Fachhistoriker betrieben wird. Vielleicht wäre es für Berlin wirklich am besten, wenn die Politik sich in der nächsten Zeit wieder vor allem mit der Gestaltung der Zukunft beschäftigt - und die Historie sich mit der Aufhellung der Vergangenheit bescheidet.

Martin Sabrow

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