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Prinz George Alexander Louis

© AFP

Die britische Monarchie und Royal Baby George: Drei Prinzen, drei Könige

Das gab's schon lange nicht mehr: Drei britische Thronfolger leben gleichzeitig. Der Bestand der Monarchie könnte damit bis ins 22. Jahrhundert gesichert sein. Warum die Briten diese Institution mehr lieben als je zuvor – und was dem Rest der Welt daran gefällt.

Bevor Prinz Charles am Dienstag nach seinem ersten Enkelbesuch der Presse zurief, „er ist wunderbar“, hat die Familie vielleicht ein historisches Foto geschossen. Man stelle sich vor: drei Prinzen, Charles, William und George, drei künftige britische Könige auf einem Bild. So klar war der Weg der britischen Monarchie wohl noch nie vorgezeichnet in ihrer über 1000-jährigen Geschichte. Sollte er die Langlebigkeit seiner Vorfahren besitzen, könnte Prinz George von Cambridge als 87-jähriger König einmal das 22. Jahrhundert begrüßen. Nur Krankheit, Tod, Revolution oder Weltuntergang können daran etwas ändern – und die zwei letztgenannten sind eher unwahrscheinlich.

Nur wenige Briten schütteln sich bei dem Gedanken, dass sich die Popularität ihrer Monarchie auf einem historischen Höhepunkt befindet. Die „Märchenhochzeit“ in Westminster Abbey, das Diamantjubiläum, nun die Geburt – alles Riten, dank derer man sich der Monarchie immer enger verbunden fühlt. Mit Festen und Gesten, Attributen und Traditionen hat sie sich in die DNA der Engländer eingeschrieben. Sogar auf dem Höhepunkt der angeblichen Monarchiekrise – 1997 nach Prinzessin Dianas Tod – forderte maximal ein Drittel der Bevölkerung das Ende der königlichen Macht.

Zu denen, die es schaudert, gehört die Feministin und Republikanerin Joan Smith, die sich als Royal Baby wenigstens ein Mädchen gewünscht hätte. „Nun werden wir auf Jahrzehnte hinaus weiße Männer als Staatsoberhaupt haben“, schimpft sie im „Independent“, als würde Großbritannien nicht seit über 60 Jahren von einer Frau regiert und als würden Republiken in der westlichen Welt etwas anderes produzieren als eine Serie weißer Männer.

Das Bild der drei Prinzen, so es denn existiert, zeigt aber noch mehr. Charles, der nächste König, trägt jenen silbrigen Doppelreiher, auf dem Fotografen den kunstvoll von einem Savile-Row-Schneider gesetzten Flicken entdeckt haben. Ein Aristokrat alter Schule, traditionsbewusst, stilvoll, unprätentiös. William, der übernächste König, trägt Jeans von der Stange, niedrig auf der Hüfte, offenes Hemd, hochgekrempelte Ärmel – Charles ist das vermutlich ein Gräuel. Charles kam im Bentley mit Chauffeur; William schnallte die Britax Babyschale eigenhändig auf dem Rücksitz seines Range Rovers fest, setzte sich ans Steuer und fuhr seine kleine Familie nach Hause.

Prinz William montiert den Kindersitz selbst
Prinz William montiert den Kindersitz selbst

© AFP

Eine Szene, die wie keine andere beweist: Die Monarchie hat den Sprung in die Mittelklasse geschafft. William nimmt zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, die er mit Frau und Kind nicht im Palast verbringt, sondern im Haus der Schwiegereltern, wo es einen Swimmingpool gibt. Ein Kindermädchen haben sie wohl noch nicht, aber Schwiegermutter Carole Middleton war British Airways Stewardess, wuchs in einer Sozialwohnung auf und weiß, wie man Windeln wechselt. Kann William seinen Stammbaum bis zu King Alfred ins 9. Jahrhundert zurückverfolgen, hat die Familie von Carole, der Tochter eines Grubenarbeiters, in drei Generationen den Sprung aus der Kohlegrube auf den Thron geschafft.

Daraus könnte sogar Joan Smith Hoffnung schöpfen. Mit der Symbiose von Dauer und Wandel, Grandeur und Aufstiegsehrgeiz trägt die Monarchie das Genmaterial ihres Volkes in sich. Warum sollte George Alexander Louis nicht eines Tages eine sogenannte „multirassische Ehe“ eingehen und eine erstgeborene Tochter haben? Die Gleichberechtigung ist durch den „Succession to the Throne Act 2013“ gesichert. Eine multiethnische Queen, noch in diesem Jahrhundert?

Wie funktioniert diese uralte und zugleich moderne Monarchie? Bei großen Ereignissen erscheint sie als Variante des globalen Promi-Hypes. Baby George, das sind 25 000 Twitter-Kommentare pro Minute, ein weltweiter Fotosturm, Selbstinszenierungen des globalen Medienzeitalters. Morgens stellt sich ein TV-Team vor den Buckingham Palast und beginnt, live zu senden. Die Moderatorin deutet auf ein paar Touristen: „Schaulustige und Patrioten versammeln sich schon früh“ – und über kurz oder lang geschieht, was sie beschwört. Die Massentrauer um Prinzessin Diana begann damit, dass die BBC am 31. August 1997 morgens um 9 Uhr vor dem Kensington Palast ihren Posten einnahm. Erst kam das Fernsehen, dann ein paar Blumen – dann immer mehr Fernsehen und immer mehr Blumen.

Die Monarchie mag eine Seifenoper sein, aber sie läuft immer weiter, auch wenn der Fernseher abgestellt ist.

Prinz George Alexander Louis
Prinz George Alexander Louis

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Diese Woche sagte Simon McKoy, der für die BBC fünf Stunden vor dem Lindo Wing moderierte, während Kate in den Wehen lag: „Die Nachricht ist, dass es keine Nachrichten gibt.“ Aber die Welt wurde in eine emotionale Welle des gemeinsamen Wartens versetzt, eine kollektive Autosuggestion, der sich nur noch die chinesische Staatspresse entziehen kann. Alle anderen setzen Kate aufs Cover und landen Verkaufserfolge.

Nach Dianas Tod, als die britische Monarchie eine Weile kein attraktives, fotogenes weibliches Familienmitglied zu bieten hatte, ging es nicht der Monarchie schlechter, sondern den Frauenmagazinen. Hier zeigt sich die andere Dimension der Monarchie, die wir Republikaner so schlecht verstehen. Diachronie, nicht Mediensynchronizität, Kontinuität, nicht Sensation: Mag es eine Seifenoper sein, sie läuft immer weiter, auch wenn der Fernseher abgestellt ist. Ja, es gibt Großereignisse, Paraden, Geburten, Hochzeiten, Todesfälle, Staatsbegräbnisse, nationale Trauer und Freude, aber eben auch das „Court Circular“ mit dem täglichen Hofbericht. Darin steht, was die Queen heute macht, wem sie einen Orden verleiht, welche Brücke sie eröffnet. Die Windsors nennen es „Service“ und „Duty“ und prägen das Bewusstsein der Briten damit genauso wie mit den roten Briefkästen samt Signum und Wappen als Mobiliar des täglichen Lebens.

Prinz Charles bei den Krönungsfeierlichkeiten für König Willem Alexander in Amsterdam.
Prinz Charles bei den Krönungsfeierlichkeiten für König Willem Alexander in Amsterdam.

© REUTERS

So schlägt jedes royale „Event“, egal wie groß oder klein, eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft, und alle Welt hat daran teil. Man muss nur die Begeisterung der Amerikaner sehen, um zu begreifen, wie sehr die Royal Family globaler Besitz geworden ist. Früher mögen Ferne und Mysterium die Größe der Monarchie ausgemacht haben. Nun scheint es umgekehrt die Medienmaschine zu sein, die ihre Größe verstärkt. Aber verwechseln wir das eine nicht mit dem anderen.

Die „Times“ rekapitulierte am Dienstag die eigene royalistische Geburtenberichterstattung. Die Geburt von Queen Victoria 1819 war ihr einen Absatz wert. 1926, bei Prinzessin Elizabeth, der jetzigen Queen, war es ein Einspalter auf Seite 4. Prinz Charles wurde 1948 immerhin schon mit einem Kommentar gewürdigt. Die Geburt werde „die Gedanken der Menschen von den Bitterkeiten der nationalen Debatte und den Ängsten auf dem internationalen Parkett ablenken“ – also weg vom synchronen Augenblick, hin zur Diachronie der Geschichte. Bei Williams Geburt 1982 räumte die „Times“ ihre Titelseite frei und dachte über das Paradox einer blühenden Monarchie in einer Welt voller Republiken nach. Jetzt, bei Baby George, gab es außer der Titelseite eine „Souvenir Edition“, und im Leitartikel wird die Frage von 1982 beantwortet. „In unserem Land ist die Monarchie das, was wir gemeinsam haben und was uns von den anderen unterscheidet, die mit ihren Traditionen weniger Glück haben und sich mit ihrer Geschichte weniger wohl fühlen. Deshalb ist diese Geburt ein nationales Ereignis”

Für viele Briten ist das Leben in der Monarchie Selbstversicherung, die Selbsterneuerung von Geburt und Tod. In den 41 Schuss Salut für George Alexander Louis kommen Vergangenheitsstolz und Zukunftsoptimismus zusammen. Wenn die Queen stirbt, wird es heißen, „Es lebe der König“. Vor solcher Selbstwahrnehmung haben Republikaner das Nachsehen: ewig mittelalterliche Männer in Anzügen als Präsidenten – da tritt man auf der Stelle und die Erinnerung verblasst sowieso. Im multikulturellen Großbritannien hingegen kann sich jeder in den Royals wiedererkennen. Die Generation von Will und Kate erlebt nun, angefangen mit der Montage des Kindersitzes, die Freuden und Schrecken des Elterndaseins, während die Ältesten im Lande großelterliche Gefühle entwickeln und an der Queen und Prinz Philipp ihre eigene Gebrechlichkeit ablesen.

Noch eins: Dieses Bedeutungssystem der Monarchie, das nationale und kulturelle Identität aufbewahrt, hat nichts mit Staat, Politik und Parteien zu tun. Es besteht eine tiefe Kluft zwischen Staat und Nation bei den Briten, die gerade wir Deutschen mit unserem aus historischen Gründen negativ konnotierten Begriff des Nationalstaatlichen leicht übersehen. Im Mutterland der Parlamente widerstrebt die Monarchie nicht der Demokratie, sondern lebt seit Jahrhunderten in friedlicher Koexistenz neben ihr her.

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