zum Hauptinhalt

Kultur: Die "Collektion Nina Sidow": Vierzig Ausstellungen en miniature bei Koch und Kesslau

Seit zehn Jahre laufen auf der Auguststraße die Touristenströme durch die Galerien. Nina Sidow, die hier wohnt und arbeitet, fragt sich schon lange, was mit der Kunst im Überfluss eigentlich geschieht.

Seit zehn Jahre laufen auf der Auguststraße die Touristenströme durch die Galerien. Nina Sidow, die hier wohnt und arbeitet, fragt sich schon lange, was mit der Kunst im Überfluss eigentlich geschieht. Da haben Künstler soviel Energie und Ausdruckswillen in ihre Ausstellungen gesteckt und dann rauscht das Publikum nach fünf Minuten wieder ab. Bleibt davon irgendetwas hängen?

Wenn Kunst zur Masse wird, ist es mit ihrem Sonderstatus unter den Waren vorbei. Dass sich Kunst aber heimlich staut in Ateliers, und so oft ein Problem darstellt, hat Nina Sidow zusammen mit ihrer Studienfreundin Uta Kollmann schon an der Hochschule der Künste beschäftigt: Zum Rundgang räumten sie auf in den Ateliers der Klassen von Anna Oppermann und Katharina Sieverding und sortierten vergessene Arbeiten, Studienobjekte und Modelle, die Studenten dort zurückgelassen haben, nach Farben. Zwischen roten, blauen und gelben Bergen aus Kunst und Gerümpel setzten ganz neue Orientierungsmuster ein. Die fertigen Produkte verschmolzen untrennbar mit den Bedingungen ihrer Entstehung.

Über den Rahmen der die Wahrnehmung von Kunst nachzudenken, kann ganz schön desilluisionierend sein. 1998/99 hatte Nina Sidow ein Post-Diplome-Stipendium in Nantes. "Da war ich dann plötzlich nicht mehr die HdK-Studentin sondern ein internationaler Künstler", erinnert sie sich an den eigenartigen Statuswechsel, den ein Stipendium verleiht. Aber es verschaffte ihr die Ruhe, um die Wellen, die der Kunstbetrieb schlägt, aus der Entfernung zu beobachten. Sie ließ sich von Freunden und Bekannten per Fax, Brief und Telefon Ausstellungen aus New York, London, Paris, Wien, Köln und Berlin beschreiben und baute sie als Modell nach: Kunst nach dem Hören-Sagen.

So entstand die "Collection Nina Sidow", die jetzt mit vierzig kleinen white cubes in der Schuhschachtel bei Koch und Kesslau Station macht. Bei Julian Schnabel beeindruckten vor allem die gigantischen goldenen Rahmen. Aus den enzyklopädischen Zeichnungen von Heinz Emigholz wurde in der Beschreibung ein erotischer Comic und eine Installation von John Bock zu einer Puppenstube nach einem Erdbeben. Natürlich lebt dieses Miniaturtheater auch von einer Persiflage auf das "Who is who" des Kunstbetriebs. Doch man muss das Original nicht gekannt haben, um die Verschiebungen und Transformationen mitzubekommen, die der Kunst im Prozess der Übermittlung widerfahren. Sie werden nicht nur durch die Erinnerung und das sprachliche Vermögen der Beschreibung gefiltert, sondern auch von den Umständen des Ausstellungsbesuchs beeinflusst. Wo der theoretische Überbau zu komplex wurde, versagt die sinnliche Vorstellungskraft und in diesen Brüchen werden die Floskeln spürbar, mit der sich der Betrieb über Schwachstellen hinwegmogelt. So hat die "Collection Nina Sidow" auch etwas von einer empirischen Untersuchung.

Doch diesem Modus widerspricht das Gebastelte der Modelle. Die Künstlerin empfindet das "bemüht Fleißige und irgendwie Hilflose" dieser Technik als angemessenes Gegengewicht zu den großen Gesten, mit denen Haltungen artikuliert und Thesen aufgestellt werden. Sie beschäftigt die Differenz zwischen der Ausbeute, die der sogenannte Diskurs aus dem Kunstwerk schürft, und den realen Erfahrungen des Machens - was man auch in dem absurden Gesprächsprotokoll im Katalog lesen kann.

Katrin Bettina Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false