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Kultur: Die Deutschland-AG wählt

„Ich kenne Horst Köhler!“: eine Performance von Matthias von Hartz am Hamburger Schauspielhaus

Stellen wir uns vor, Bernd wäre ein Entwicklungsland. Und er würde gerne einen Kirschkuchen backen. Richtig viele Mittel hat er nicht. Also geben wir ihm einen Tortenboden dazu, Kirschen und ein paar Schokostreusel. Dass er uns später beides zehnfach multipliziert zurückgeben muss, das weiß er ja noch nicht. Bernd backt also den Kuchen und macht Schulden. Schließlich haben wir, der IWF, ihm bei der Zubereitung die notwendigen Mittel geliehen.

So einfach und so ungerecht ist das mit der internationalen Wirtschaft. Am entwicklungspolitischen Backbeispiel demonstrieren der Konzeptkünstler Matthias von Hartz und der Schauspieler Bernd Moss ganz einfach und drastisch die Handlungsweisen des IWF, des Internationalen Währungsfonds. Dessen Vorsitzender war bis März 2004 Horst Köhler. Er soll kommenden Sonntag Deutschlands Bundespräsident werden. Und deshalb hat Matthias von Hartz ihm ein Special in der Reihe „Go create resistance“ am Deutschen Schauspielhaus Hamburg ewidmet, einer gesellschaftskritischen und aufklärenden Reihe zu und über und gegen die Globalisierung.

Der Titel ist viel versprechend: „Ich kenne Horst Köhler!“, die Gästeliste interessant. Von Hartz bringt nicht nur Schauspieler, sondern auch echte Referenten auf die Bühne. Heiner Falssbeck beginnt. Er war ehemals Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen und ist inzwischen Chief der Macroeconomics and Development Policies Branch bei der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) in Genf. Während Flassbecks Vortrag herrscht im Malersaal des Schauspielhauses konzentrierte Seminar-Atmosphäre.

Gelassen und unterhaltsam erklärt der Ökonom die letzten internationalen Finanzkrisen, verursacht durch verhängnisvoll überhöhte Zinssätze. Vom eigentlich multilateralen Phänomen des Wechselkurses spricht er, und davon, dass der IWF stur einen unilateralen Kurs verfolgt und sich so jeglicher Verantwortung und Verpflichtung entledigt. Es folgt ein Beitrag von Ramon Custodio Lopez. Er, Nationaler Beauftragter für Menschrechte in Honduras, hat Horst Köhler vergangenes Jahr einen Brief geschrieben. Hat ihn um eine Stellungnahme zu den Missständen in Honduras gebeten, ihm von der desolaten Menschenrechtssituation in Lateinamerika erzählt. Doch Horst Köhler hat ihm nie geantwortet. Andernorts gibt Demba Moussa Dembele, Direktor des Forum für African Alternatives, einen Einblick in die Folgen der Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF in Afrika.

Abschließend meldet sich der Schweizer Publizist Roger de Weck zu Wort. Es gibt Wichtigeres als Wirtschaft, sagt er, und spricht über das fürchterlich nichtökonomische Prinzip Liebe. Sehr kluge, kritische Gedanken äußert de Weck zur ökonomisierten Gegenwart und zur Verwirtschaftlichung der Welt. Richard Sennett zitiert er und zieht schlaue Parallelen zwischen Weltwirtschaft und Weltpolitik. Horst Köhler als Bundespräsident wäre laut de Weck „der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschland-AG“.

Ohne Frage war diese Veranstaltung höchst informativ, war es wieder „ein Abend über Ökonomie und das Leben“, über kritische Haltungen zur Globalisierung und neoliberale Tendenzen. Aber das, was man sich von „Ich kenne Horst Köhler!“ versprochen hatte, war es doch nicht. Keine provokative Performance über H. K., den Kandidaten.

Und Bernd, das Entwicklungsland, muss wohl auch weiterhin kleine Kirschkuchen backen.

Katrin Ullmann

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