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Kultur: Die Dichter gehen aus

Berliner Ensemble: Peymann & Müller

Mit dem „Reißzahn im Regierungsviertel“ ist es nichts geworden. Dafür ist Claus Peymann aber ein absoluter Stabilitätsgarant. Sein Berliner Ensemble meldet für 2005 insgesamt 201 513 Zuschauer, was einer Platzausnutzung von nahezu 88 Prozent und dem Ergebnis des Vorjahres entspricht. Ein besonderer Publikumsliebling: Robert Wilsons „Leonce und Lena“-Inszenierung mit der Musik von Herbert Grönemeyer.

Für das Brecht-Jahr 2006 kündigt Peymann ein dreiwöchiges Festival zur Erinnerung an den BE-Gründer an. Die Fußballweltmeisterschaft werde dagegen nichts sein, sagte Peymann, bekennender Werder-Bremen-Fan, der „BZ“. Mit Heiner Müller, seinem großen Vorgänger am BE, kann der derzeitige Direktor am Schiffbauerdamm weniger anfangen. Er mag Müllers Stücke nicht, erklärte er in dem Interview mit dem Boulevardblatt: „Müller war ein Rededichter, kein Schreibedichter. Weil man in der DDR nicht sagen konnte, was man dachte, musste Müller es eben aufschreiben. Das gibt seinen Stücken etwas deutsch Verkrampftes.“ Und: „Er war der brillanteste Interviewgeber der Welt.“

Rededichter? Da spricht ein erfahrener Theatermann, den man entsprechend einen Rederegisseur nennen könnte. Es liegt wohl an dem ehrwürdigen BE-Gemäuer: Man braucht gewiss ein mächtiges Organ, um da durchzudringen. Zum zehnten Todestag Heiner Müllers am 30. Dezember hielt sich Peymann zurück. Sein früherer Assistent und Hausregisseur Philip Tiedemann brachte an dem Abend „100 Fragen an Heiner Müller“ zur Uraufführung, eine „Séance“ von Thomas Oberender und Moritz von Uslar (siehe Tagesspiegel vom 30. 12.).

Fünf Schauspieler in Heiner-Müller-Masken. Crash-Test-Dummies in einer Talkshow-Runde. Mikrofon statt Zigarre. Große Brillen, aber keine Spur von Müllers assoziativer Brillanz. Karikatur eines Kommunikationsgenies. Ein Rededichter eben nur, wie Peymann meint, der selbst seinen Brecht so inszeniert, als habe es die Müller’sche Brecht-Kritik nie gegeben. Tiedemanns verkrampfte Lockerungsübung (wieder am 7. und am 19. Januar auf dem Spielplan) hetzt durch den kurvenreichen Crash-Text. Gibt Antworten, ohne eine Frage zu stellen. An Heiner Müller zum Beispiel.

Rüdiger Schaper

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