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Kultur: Die doppelte Wahrheit

Mohammad Bakri zeigt in Berlin den verbotenen Film „Jenin...“

Mohammad Bakri gehört im Hauptberuf zum Ensemble des Habima-Theaters, der berühmtesten Bühne Israels. Doch zurzeit steht der 49-jährige Palästinenser und Staatsbürger Israels nicht als Theater- und Filmschauspieler im Mittelpunkt des Interesses. Einige würden ihn zwar auch am liebsten von der Bühne verbannen. Grund aber ist Bakris Dokumentarfilm „Jenin, Jenin".

Mit einer Kamera ist Bakri im letzten April aus seinem Heimatdorf El Bane in Nordisrael nach Dschenin ins Westjordanland gefahren. Dort hatte ein blutiger Häuserkampf zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee stattgefunden. 24 israelische Soldaten waren gefallen, die Palästinenser sprachen von Massakern, eine UNO-Kommission stellte schließlich 56 Getötete fest. Eine Woche nach dem Abzug der Armee traf Bakri im Flüchtlingslager ein und blieb drei Wochen lang. Entstanden ist eine 54-minütige Dokumentation menschlichen Elends: Ein Junge läuft über die Trümmer seines Wohnhauses – dann steht er neben dem Grab seines Vaters. Ein alter Arzt schildert unter Tränen das Ausmaß der Verletzungen, ein Taubstummer stellt mit Händen und Füßen die schießenden Soldaten nach. Dazu tönen MG-Salven. Ein achtjähriges Mädchen sagt: „Ich habe alles verloren, ich habe kein Leben mehr.“ Ihr Ausdruck legt nahe, dass auch sie bereit wäre für einen Selbstmordanschlag.

„Die Israelis sollen verstehen, warum sich junge Menschen in die Luft jagen“, sagt Bakri. Aber die israelische Zensur hat „Jenin, Jenin“ verboten. Für Bakri ist der Film keine Kriegsdokumentation, sondern Zeugnis der Verzweiflung, der Trauer, aber auch der Hoffnungen und Träume in den Tagen nach den Kämpfen. Diese Stärke des Filmes ist aber zugleich auch seine Schwäche: Die stark emotionalen Aussagen der Menschen werden nicht relativiert. Niemand erklärt, dass auch die Palästinenser bewaffnet waren. Statt dessen wird suggeriert, die israelische Armee sei willkürlich über unschuldige Menschen hergefallen. Außerdem hat Bakri Aufnahmen verwendet, deren Authentizität fraglich ist: In einer Einstellung sieht man einen israelischen Panzer auf einige am Boden liegende Palästinenser zusteuern. Dann folgt ein Schnitt. In der nächsten Szene werden Leichen weggetragen – als seien die Panzer über die Menschen gefahren.

„Wenn wir alle gefälschten Stellen rausgeschnitten hätten, wäre nicht viel übrig geblieben“, sagt Nissim Abulo. Der Jerusalemer Rechtsanwalt ist Vorsitzender der Kommission, die über den Film entschieden hat. Mütter von in Dschenin gefallenen Soldaten hatten einen Verbotsantrag gestellt. Nach stundenlangen Debatten erhielt der Antrag eine knappe Mehrheit. Abulo fragt: „Welche Demokratie würde in so einer Zeit einen Film zulassen, in dem eigene Soldaten als blutrünstige Schlächter dargestellt werden?“

Bakri widerspricht: „Nichts ist gefälscht, diese Aufnahmen sind echt“, sagt er verbittert . Nun klagt er vor dem Obersten Gerichtshof auf Zulassung seines Films in Israel, der bisher nur in Privatvorstellungen der Friedensgruppe Bat Shalom zu sehen ist.

Bakri lebt auch selbst als Zerrissener: Jeden Morgen setzt er sich im 6000-Seelen Dorf El Bane in seinen VW Polo. In El Bane wohnen nur Araber, es gibt dort kein Einkaufszentrum, nicht einmal Ampeln. Zwei Stunden später ist er in Tel Aviv, der Metropole am Mittelmeer. Als erster Palästinenser hat er auf allen großen Bühnen gespielt und in erfolgreichen israelischen Spielfilmen mitgewirkt. Für Costa Gavras stand er in „Hanna K.“ vor der Kamera. Aber Bakri sagt: „Hier arbeite ich nur. In meinem Dorf, da lebe ich.“

„Jenin, Jenin“ ist heute um 21.45 Uhr und Sonnabend um 16.15 Uhr in Berlin in der Filmbühne am Steinplatz zu sehen. Der Regisseur Mohammad Bakri ist anwesend.

Patrick Goldfein

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