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Bätter, Baumstämme, Sonnenlicht. Pia Tafdrup schreibt über die Wahrnehmungen ihres kranken Vaters.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Gedichte von Pia Tafdrup: Die Erinnerung lebendig machen

In „Tarkowskis Pferde“ schreibt die dänische Dichterin Pia Tafdrup über den langsamen Abschied von ihrem demenzkranken Vater.

Plötzlich sind so einfache Dinge wie Brieftaschen weg, Hut und Handschuhe verschwunden. „Die Logik ist über / alle Normen-Berge, / auch einzelne einleuchtende Wörter / sind fortgeflogen. (...) Alles wirbelt dem Zentrum entgegen“. In ihrem Gedichtband „Tarkowskis Pferde“ schreibt die dänische Dichterin Pia Tafdrup über den langsamen Abschied ihres demenzkranken Vaters. Sie folgt dem Lauf der Krankheit, zeigt, wie die Dinge dem Gedächtnis des Vaters entgleiten, bis sich auch die Namen nicht mehr finden lassen.

Tafdrup schmiegt sich immer wieder eng an die Perspektive des Vaters an. Wir sehen und hören gleichsam mit seinen Augen und Ohren, wie die Welt sich auflöst. Sehr schön lagert sie solche Momente in kleine Beobachtungen ein, in Blätter im Wind etwa, die wechselnde Farbe der Baumstämme, ein wenig Sonnenlicht im Fenster: „Das Wohlbekannte hat sich verborgen / oder den Namen geändert“. Tafdrup übersetzt die schwankenden Wahrnehmungen des Vaters in ein wundersames Spiel mit dem Zeilensprung. Die Sätze und Satzteile changieren in ihrer Bedeutung, sodass der Leser im eigenen Denken und Wahrnehmen spürt, wie sich die Zusammenhänge der Welt lockern und verschieben. Der Übersetzer Peter Urban-Halle hat diese Sprachbewegungen schön nachgebildet.

Nicht immer frei von schweren Worten

Doch „Tarkowskis Pferde“ holt auch den Abschied der Tochter vom Vater in die Sprache. Als Eurydike sieht sich die Sprecherin bisweilen, als Orpheus’ Frau, bevor sie von der Schlange gebissen wird: „Soll Eurydike ihren / toten Vater holen - / wie Orpheus singen / vom Verlornen?“ In einem kleinen Zimmer in Berlin, wenige Wochen nach dem Tod des Vaters, überkommt sie plötzlich der Drang, zu singen: „Eurydike, die Erinnerung, / die Eruption“ – dieser Dreiklang wird fortan das Schreiben leiten. Und so holt sie ihre letzte Zeit mit dem Vater aus dem Gedächtnis. Fragt sie sich anfangs noch, ob der Vater sich denn nicht mehr in jenen Menschen verwandelt, den sie kennt, wird sie fortan ein ums andere Mal Schutz suchen „in einer glasklaren Erinnerung aus der Kindheit“, ohne je die eigene Trauer, die eigenen Schmerzen aus der Sprache zu verbannen.

Pia Tafdrup mit ihrem Vater

© Privat

„Tarkowskis Pferde“ ist ein Buch des Abschieds und der Trauer, vor allem aber eines der Erinnerung. Und damit zugleich eines über das Vergessen. Dem dementen Vater entschwindet die Welt – doch Pia Tafdrup schreibt ihren Gedichten die umgekehrte Bewegung ein: Sie macht die Erinnerungen lebendig in der Sprache ihrer Verse.

Das ist nicht immer frei von schweren Worten. Gerade im letzten Teil versucht Tafdrup, die Gedichte an eine Art kosmologische Perspektive oder an konkrete Spuren aus dem Leben des Vaters zu koppeln. Hier rutschen auf einmal Formulierungen wie „süße Sekunden“ oder „Absatz der Angst“ zwischen die Zeilen. Viel stärker ist sie, wenn sie den Bewegungen von „Sehen, Hören und Riechen“ vertraut. In den schönsten Versen leuchten die Sätze wie die „weißen Stämme der Birken“, die dem Vater die Jahreszeit verraten.

Pia Tafdrup: Tarkowskis Pferde. Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle. Stiftung Lyrik-Kabinett, München 2017. 117 Seiten, 22 €.

Nico Bleutge

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