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Kultur: Die erste authentische Aufführung im Berliner Konzerthaus

Ein Abend mit tausend Gesichtern. Ein sympathischer, witziger, warmherziger Abend - mit einem winzigen Wermutströpfchen: Nina Hagen fehlte.

Ein Abend mit tausend Gesichtern. Ein sympathischer, witziger, warmherziger Abend - mit einem winzigen Wermutströpfchen: Nina Hagen fehlte. Gewiss, auch Petra Lamys Mrs. Peachum konnte keifen und kreischen, Wörter zwischen den Backenzähnen zermalmen, Töne wie Bubblegum aufblasen - auf ihre Weise und ganz schön vulgär. Trotzdem fehlte dem wundersam disparaten Sängerensemble dieser "Dreigroschenoper" im Konzerthaus hier der letzte exotisch-stilistische Kick.

Gleichzeitig setzte sich die Kurt-Weill-Foundation, die die musikalischen Rechte des Dessauer Doppeljubilars verwaltet (was Nina Hagen auf der Platte noch durfte, darf sie nun nicht mehr, nämlich transponieren), erfolgreich in Szene. Nach der Pause überreichte Stephen Hinton von der Stanford University Barbara Brecht-Schall das erste Exemplar von der neuen, kritischen Ausgabe der "Dreigroschenoper", Brecht/Weills legendärem Wunderwurf von 1928. Ein historischer Moment - und doch eine reichlich verhuschte, flüchtige Geste. Als hätte sie es eilig, klemmte sich die Brecht-Tochter den Folianten unter den Arm, sprach kein einziges Wort - und trat wieder ab.

Nunmehr akademisch autorisiert, darf die "Dreigroschenoper" erst recht als die "konsequenteste Reaktion auf Wagner" gelten: Ihr frecher, fratzenhafter Charme steckt bis heute jede Opernparodie in die Tasche. HK Gruber (der gleichzeitig einen knorrig bärbeißigen Peachum gab) und das Ensemble Modern jedenfalls zeigten sich glänzend gelaunt: Fast hätte man über dem Krachen der Kanonen, den Streicheleinheiten der Saxophone, den magischen Schluchzern der Hawai-Gitarre (ein Hoch auf Weills Original-Instrumentierung!) sogar die Tonprobleme im Saal vergessen. Ob da nicht weniger mehr gewesen wäre?

Das ortlose, hallige Wabern der elektronischen Verstärkung jedoch traf auch die Sänger. Allen voran Sona MacDonalds fabulöse Polly, die alle Register ihres stimmlichen Könnens zog und der das finale "Hoppla" der Seeräuberjenny wie erleichtert über die Lippen kam. Ein Höhepunkt des Abends: das Streitduett mit Winnie Böwes kühlschöner, deftig fluchender Lucy. Unterstützt von der Berliner Singakademie zeigten sich auch Timna Brauer, Hannes Hellmann und Jürgen Holtz (als Sprecher) inspiriert. Einzig Max Raabe, der Mackie Messer, enttäuschte: Ein Ausdrucksrepertoire von drei immerzu gleich genäselten, in Öl gewendeten Kopftönen reicht eben nicht zur Verruchtheit.

Christine Lemke-Matwey

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