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Hand in Hand. Ziad Homsi fotografierte Demonstranten beim Dabke, einem traditionellen arabischen Tanz.

© Katalog

Die Farbe des Todes: Syrische Künstler stellen in Berlin aus

Bilder aus einem zerrissenen Land: Syrische Künstler stellen in Berlin aus. Die innerhalb kürzester Zeit organisierte Kreuzberger Schau gibt Einblick in eine junge Kunstszene, die sich unter widrigsten Umständen und enormem Leidensdruck dennoch mit Verve entwickelt hat.

Die Situation in Syrien droht zu einem jener Themen zu werden, deren Medienpräsenz sich umgekehrt proportional zur Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit entwickelt. Die immer weiter eskalierende Gewalt – mal als Aufruhr, mal als Nachklapp zum Arabischen Frühling, und mal als Bürgerkrieg gedeutet – gehört längst zur täglichen Nachrichtenroutine, ins Bild gesetzt durch die immer gleichen wacklig-unscharfen Internetvideos. Die Tragödie verschwindet zunehmend hinter dem Ritual der Meldungen.

Ganz andere „Ein- und Ausblicke in ein zerrissenes Land“ setzt nun die Ausstellung „Kunststoff Syrien“ dagegen in der Kreuzberger Forum Factory. Sie verdankt sich dem spontanen Engagement der erst im April von Sabine Wunsch und Uta Zwickirsch gegründeten „Kulturvertretung“ und des Damaszener Künstlers Ahmad Ramadan. Der Maler, der an der Universität der bildenden Künste in Damaskus studiert hat und seit vergangenem Jahr in Berlin lebt, ist auch mit eigenen Werken vertreten, darunter einem in Berlin entstandenen, abstrakten Triptychon. Der Ausstellung ist anzusehen, dass sie nicht von einem externen Kurator eingerichtet wurde. Aber weder der kurze Vorlauf des Projekts noch die Tatsache, dass die Auswahl der Künstler vornehmlich durch die persönlichen Kontakte Ramadans zustande kam, schadet der Ausstellung. Im Gegenteil: Gerade dies vermittelt die Verve einer sich unter widrigsten Umständen und enormem Leidensdruck entwickelnden jungen Kunstszene in aller Deutlichkeit.

Verwirrend vielfältig wirkt der gezeigte Ausschnitt aus dem aktuellen syrischen Kunstschaffen, aus Malerei, Grafik, Fotografie, Videokunst und Musik. Die Schau ist das Gegenteil einer Thesenausstellung, denn sie lässt das Offene der syrischen Gegenwartskunst gelten. Als einigendes Band ist die den Ereignissen der letzten Wochen und Monate entwachsene Dringlichkeit spürbar. Im Vielklang der Genres, Themen und Stile verbirgt sich auch Widersprüchliches. So beschwören die Fotografien von Ziad Homsi das Kollektiv und seine Macht. Dass einige der Bilder eine Ästhetik der Masse bedienen und dazu neigen, die Opfer der Kämpfe zu Märtyrern zu verklären, wirkt verstörend.

Ähnlich beklommen, wenn auch aus anderen Gründen, steht man vor den abstrakten Arbeiten von Zavien Youssef, die in diesem Jahr in Damaskus entstanden sind und in ihrer dunklen Unruhe eine Ahnung vom Zustand des „zerrissenen Landes“ vermitteln. Die eher dokumentarischen Schwarz-Weiß-Fotografien des in Frankreich lebenden Mohammad al Roumi beeindrucken durch ihre Klarheit und die beißend scharfen Kontraste, mit denen sie die alltägliche Trostlosigkeit im Damaskus der Zeit unmittelbar vor dem Gewaltausbruch festhalten.

Fast heiter wirken im Vergleich die politischen Grafiken der Gruppe „The Syrian People know their way“, die ihre Arbeiten über Facebook verbreitet. In der Aussage klar, im Gestus unpathetisch und mit jenem Maß an Ironie, das die Ernsthaftigkeit der Themen betont statt unterläuft, wirken die Werke wie jugendliche Wiedergänger der längst klassisch gewordenen politischen Plakatkunst von Klaus Staeck.

Der lose Verbund von Künstlern, Designern, Bloggern und Aktivisten entstand im Februar 2011 als Antwort auf die Entwicklungen in Ägypten, Tunesien und Libyen. Er hat sich die Demokratisierung Syriens zum Ziel gemacht, die für ihn mit einer Demokratisierung der Kunst beginnt. Darum versuche man, die eigenen Arbeiten „auf eine Art und Weise zu präsentieren, die für die Menschen auf der Straße Sinn macht und nichts mit der Kunst der Kunstsalons zu tun hat“, so das Credo der Gruppe. Die Werke rekurrieren auf die syrische Folklore und Volkssprache, denn den Künstlern geht es darum, „komplizierte politische Konzepte verständlich zu machen, indem wir sie in kurzen, ja manchmal auch witzigen Aussagen zusammenfassen“, ohne „in hohle Phrasen abzugleiten“.

Herausragend sind auch die Arbeiten des mittlerweile in Qatar lebenden Jaber al Azmeh, der 1998 über Umwege zur Fotografie kam, nachdem er Klarinettist des Nationalen Syrischen Symphonie-Orchesters gewesen war und Malerei studiert hatte. Seine 16-teilige Serie „Wunden“, von der die Ausstellung eine Auswahl zeigt, hatte ihren Auftritt zunächst im Internet. Er habe die Serie, sagt Azmeh, nicht für Galerien oder Museen gemacht, sie solle vielmehr ihre Wirkung auf der Straße entfalten. Internet und Facebook seien darum heute der richtige Ort, Kunst zu zeigen.

Die schwarzen Körpersilhouetten, oft verschwommen und vielfach überblendet, sind von einem tiefen Rot umgeben, der „Farbe der Liebe, des Blutes und des Todes“, wie es in einem Gedicht Azmehs heißt. Sie erzählen vom drohenden Verschwinden des Individuums und zugleich von dessen Aufbäumen gegen diese Gefahr. Azmehs Motive halten die Waage zwischen Statik und Dynamik, Verzweiflung und Hoffnung, Kapitulation und Aufbegehren und entfalten vor dem Hintergrund der laufenden Ereignisse in Syrien eine packende Intensität.

„Achtung“, warnte Peter Handke 1983 die Leser seines Journals „Phantasien der Wiederholung“, „alles hier ist geschrieben in einer Friedenszeit, und unter dem Zeichen des Friedens“. Dass unter diesem Zeichen andere Regeln gelten, ist eine banale Erkenntnis, die jedoch selten so augenfällig wird wie auf dieser ad-hoc-Ausstellung. So vielfältig die künstlerischen Mittel, Techniken und Ausdrucksformen sind, die hier auf engstem Raum nebeneinander stehen, so schlüssig zeigt sich das zeitgenössische syrische Kunstschaffen als Ausdruck einer Gesellschaft im Aufruhr und im Aufbruch. Schweres und Leichteres, Dunkles und Lichteres fügen sich in der unprätentiösen Ausstellung zu einem Gesamtbild, das für Zuversicht und Verzweiflung gleichermaßen Raum lässt.

Forum Factory, Besselstr. 13, bis 18. August, tägl. 10-18 Uhr. Mehr Informationen zum Begleitprogramm unter www.kulturvertretung.de

Andreas Pflitsch

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