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Kultur: Die Fernsehfeuerfrau

Sie ist jung und schön und adlig - wie geschaffen für diese Boulevard-Magazine im Fernsehen.Doch wenn man die Jungproduzentin Tita von Hardenberg auf jene Goldader im TV-Geschäft anspricht, die mit Sex und privaten Banalitäten, Klatsch und Katastrophen angereichert ist, setzt sie ihren Kaffee ab und zieht ein Gesicht, als sei ihr die Milch darin sauer geworden.

Sie ist jung und schön und adlig - wie geschaffen für diese Boulevard-Magazine im Fernsehen.Doch wenn man die Jungproduzentin Tita von Hardenberg auf jene Goldader im TV-Geschäft anspricht, die mit Sex und privaten Banalitäten, Klatsch und Katastrophen angereichert ist, setzt sie ihren Kaffee ab und zieht ein Gesicht, als sei ihr die Milch darin sauer geworden."Mit diesen Themen will man sich doch gar nicht befassen", sagt sie gestikulierend."Die Abstrusitäten des Normalen sind hundertmal spannender und witziger als Sensationen.Für einen Tupperware-Nachmittag von Hausfrauen kannst du doch jeden Swingerclub stehen lassen."

Sie muß es wissen.Seit sechs Jahren bringt Tita von Hardenberg für ein überwiegend junges Publikum Berlin und Brandenburg auf den Bildschirm, vor und hinter der Kamera.Berichtet vom platten Lande, wo die geradesten Furchen beim Pflügen prämiert werden, wie über Trends im Großstadtdschungel - erst in "TIP TV", seit April 1997 in der Nachfolgesendung "Polylux", dem erfolgreichsten Magazin im ORB.Damals gründete die Dreißigjährige auch mit zwei Freunden, den Mitgesellschaftern Stefan Mathieu und Michael Khano, ihre Produktionsfirma "Kobalt Productions".

Im Domizil am Berliner Hackeschen Markt werden gerade weitere Räume in Beschlag genommen, wo für den Kultursender "Arte" Teile des wöchentlichen Jugend- und Musikmagazins "Tracks" produziert werden soll - der neueste Fisch, den die Firma an Land zog, die auch Beiträge für das ARD-Format "Sabine Christiansen" herstellt.

"Hast du gesehen?" Tita von Hardenbergs Finger fliegen über die Tasten des Abspielgeräts.Das Band stoppt, schnarrt zurück, läuft an.Es zeigt eine winzige Sequenz aus eigener Produktion über Leute, die sich im Schwimmbad vom Zehnmeterturm stürzen.Die Bilder bannen ihren Blick, sie ruft: "Da!" Wo ein Wimpernschlag zuvor ein junger Mann im Freibadbecken tauchte, wird er schnittweise zum Schönling eines Jeanswerbespots.Ein fließender, wunderlicher Übergang, diese Mini-Metamorphose vom Berliner Alltag in virtuelle Trendwelten, die von Hardenberg sichtlich Vergnügen bereitet.

Die Begeisterung der Fernsehfrau blühte lange in den Grenzen von Sendern, wo sie sich und ihre Ideen für Themen und Formate ausgebremst fühlte.Frustriert von "knöchernen Redaktionen und blockenden Produzenten" hatte sie, die nicht besonders zu Geduld neigt, "einen Job in Wartestellung." Damals.Nach Abitur in Berlin, Studium in München und London, faßte die gebürtige Hamburgerin Fuß beim Berliner Regionalsender FAB.Im Jahr darauf half sie, das Wochenmagazin "TIP TV" aufbauen, das sie dann leitete.1994 wurde sie als Moderatorin auch sein Gesicht.Die ORB-Sendung fiel auf im Fernseh-Allerlei durch Frische und Experimentierfreude.

Vielleicht verleiht das neue Unternehmergefühl, nicht mehr "machtlos" im Getriebe eines großen Ganzen zu sein, Tita von Hardenberg diese Ausstrahlung, die das Klischee von der Powerfrau streift.Optimismus sei eine ihrer besten Eigenschaften, sagt sie nach etwas Grübeln.Dann kommt die großgewachsene Frau wieder in Fahrt: "Ich habe eine gewisse Fähigkeit, Menschen zu begeistern." Vom Geschäfts-Ergebnis ist sie umstellt: Wände aus Kassetten, gut tausend Stück, mehr als 200 Kilometer Band - Rohmaterial und fertige Sendungen, über die ihre Blicke schweifen wie andere Menschen die Auslage eines Delikatessenladens ins Visier nehmen.Das Archiv ihrer Firma, die heute bei zwei Millionen Mark Umsatz 30 Mitarbeiter beschäftigt, meist im Studentenalter.Redaktionssitzungen, so ungezwungen wie am Familientisch, leitet von Hardenberg mit der Autorität der Mother of the Company.

Am Firmenanfang stand ein Ende: Der Vertrag über "TIP TV" zwischen Tip-Verleger Gruner+Jahr und ORB war ausgelaufen.Wie man hört, war dem Konzern die Sendung zu teuer.So wurde von Hardenberg Existenzgründerin für ein neues Magazin mit der alten, eingespielten Mannschaft - und schlief eine Weile schlecht: "Das war ein Wagnis.Alles mußte rasend schnell gehen.Neues Format, neuer Name, neues Design.In vier Wochen mußte alles stehen.Die erste Sendung haben wir ohne Schreibtische gefahren." Sie schüttelt den Kopf, als wundere sie sich im nachhinein über den kreativen Schweinsgalopp.

Seit 1997 sendet also "Polylux" (so das ostdeutsche Wort für "Overheadprojektor"): Politisches, Portraits, Trends, Mediennews, Satire.Anfangs laut Untertitel ein "Magazin mit Schwein" - wegen Luzie, dem Hängebauchferkel, das mit Wiedererkennungswert durch die Sendung wackelte, bis es dafür zu groß und träge geworden war.Auch diente das Tier einem Kunstgriff.Wie mit seinen Augen zeigten die "Polylux"-Macher die Welt.Ungewöhnliche Optik, die Inhalte unterhaltsam befördert, ist ihr eigentliches Markenzeichen in der TV-Branche: "Schneller, phantasievoller, abstrakter", beschreibt Tita von Hardenberg, die für die ARD auch schon Features über "Techno - der verkaufte Traum" oder das Oderbruch drehte, diese Bildsprache."Wir können nicht mehr endlose Schwenks über eine Häuserflucht zeigen", referiert sie im Tonfall von "Die Erde ist rund", weshalb man heute "im Grunde die Kamera an einem Gummiband aus dem Fenster fallen lassen muß." Die Gewöhnung der MTV-Generation an Werbe- und Videoclips bewirkt, daß die Bilder, die einst laufen lernten, nun rennen und stürzen.

Ebenso prägen Unschärfen oder das Spiel mit Kameraformaten den visuellen Stil der "Kobalt"-Leute."Wir arbeiten viel mit Assoziationen", erklärt die Chefin, "statt eins zu eins abzufilmen, denken wir uns Gleichnisse aus." Zum Beispiel für einen Beitrag über Raubkopien im Internet: "Man kann nicht einfach die ganze Zeit den Monitor abfilmen." Also hielt man den Doppelboden eines Wasserglases vor die Linse und filmte so ein Büro."Das schafft einen Tunneleffekt", erzählt von Hardenberg.Als wäre der Handlungsort in den Monitor geschlüpft.

Solche Experimente wirken ungewohnt szenig und jugendlich im meist betulichen Gebührenfernsehen.Dennoch: Als "öffentlich-rechtliche Kinder" bezeichnet die "Kobalt"-Gründerin sich und ihr Team.Damit meint sie ein Gefühl von Heimat, daß sich auf journalistischen Anspruch bezieht, während ihre Ästhetik wohl eher bei den Privaten zu Hause wäre, "weil die sich mehr trauen".So ist Tita von Hardenberg als Grenzgängerin im Fernsehgeschäft unterwegs, die ihre Claims allerdings in einer Hinsicht fest abgesteckt hat: "Nicht für Schrottmagazine arbeiten zu müssen", sagt sie, "das ist unser Luxus."

STEFAN SCHIRMER

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