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Kultur: Die Frage des K.

Rüdiger Schaper über das Jahr der Klone und der Krieger Schon wieder KFragen, wohin man schaut! Doch diesmal geht es nicht ums Kanzleramt und Kandidaten, es geht um Leben und Tod.

Rüdiger Schaper über das

Jahr der Klone und der Krieger

Schon wieder KFragen, wohin man schaut! Doch diesmal geht es nicht ums Kanzleramt und Kandidaten, es geht um Leben und Tod. Krieg und Klone: Und aller Voraussicht nach spielt sich dieser Film nicht im Kino, sondern in der Wirklichkeit ab. Oder was wir dafür halten sollen.

„Dies ist eine wundervolle Zeit, in der wir leben. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte verliert alles, was wir wissen, seinen Wert.“ So jubiliert der sonst angeblich so medienscheue Monsieur Rael, der Ufo-Sektenführer, in der Silvesterausgabe der Frankfurter Allgemeinen. Ein unglaubliches (gar geklontes?) Interview – man fragt sich, wer dafür bezahlt hat: die Zeitung, die ihre Gen-Debatte nun in den Erlösungs-Trash weiterdreht, oder die so genannten Raelianer, die dieses Gespräch mit ihrem „geistigen Führer“ auch als Anzeige hätten aufgeben können. Dabei ist die Existenz des Klonbabies Eva noch keineswegs bewiesen.

Doch das spielt im Moment keine Rolle. Allein schon die treffsichere Inszenierung der neuen Weihnachtsbotschaft aus dem Labor der Sekten-Ärztin und Raelianer-Bischöfin Boisselier („Uns ist ein Kind geboren“) hat die Medien weltweit in Erregung versetzt. Die Behauptung, die viele schockiert und nicht wenige wohl fasziniert, ist bedeutungsvoller als die Fakten. Das Medium ist die Message? Oder umgekehrt: Die Nachricht wird zum Medium. Früher, in anderen staatlichen Systemen, nannte man das Propaganda.

Ähnlich verhält es sich mit der Frage nach einem Krieg gegen den Irak. Auch hier scheint das vorgefasste Urteil (oder der offensichtlich nicht mehr auszuräumende Verdacht) die Tatsachen zu überlagern. Ganz egal, was Waffeninspektoren, Geheimdienste und Wissenschaftler ans Tageslicht befördern oder eben nicht – der Angriffsbefehl wird, wenn es denn sein soll, gegeben. Wer zweifelt noch ernsthaft daran, dass der amerikanische Präsident seinen Krieg haben will? Und dass er diesen Krieg bekommen kann, zur Not auch im Alleingang.

Es ist eine seltsame Rhetorik, die in diesen Tagen auf die Welt niedergeht. Sie hat etwas Mittelalterliches. Wenn Washington und London sagen, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besitzt, dann stimmt das auch. Das Gegenteil zu beweisen, wird bald so schwierig wie zu Zeiten der Inquisition die Lage der Ketzer. Der irakische Tyrann bedient sich zum eigenen Schutz übrigens einer uralten Klon-Methode. Er hat Doppelgänger geschaffen.

Ist es Zufall, dass die Raelianer, die sich vom Klonen ein neues Paradies erwarten, bevorzugt von amerikanischem Boden aus operieren? Die größte westliche Zivilisation war von Anfang an stärker religiös-sektiererisch geprägt, als wir es wahrnehmen wollen. God’s own country verdankt sich der Religionsfreiheit, und diese schließt eben auch radikale und fundamentalistische Auffassungen ein. Es ist der ungebrochene Glaube Amerikas an den unbegrenzten Fortschritt, mit dem die bizarren Raelianer spekulieren.

2003: Es könnte für den Rest der Welt das Jahr werden, in dem man Amerika neu verstehen muss. Die Weltmacht häutet sich. Geht dem Geld nach, so sagte einst Deep Throat, die legendäre Informationsquelle im Watergate-Skandal, den beiden recherchierenden Journalisten. Geht dem Öl nach, könnte man jetzt denken – aber die Zeit ist nicht günstig für Woodwards und Bernsteins, für heldenhafte Reporter. Prediger haben bessere Konjunktur.

Da hat ein amerikanischer Kongressabgeordneter eine verblüffende Forderung aufgestellt: Die USA sollten die Wehrpflicht einführen. Keine Kriegstreiberei, im Gegenteil: Wenn die Söhne der Reichen mit an die Front müssten, dann würde sich die Führungselite die Sache dreimal überlegen. Jetzt wird eine Berufsarmee vorgeschickt – zumeist Kinder aus sozial schwächeren Familien, Schwarze, Latinos. Man wagt es kaum wieder zu denken: Ist die ultimative K-Frage doch die des Kapitals?

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