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Kultur: "Die Frau, die einen Truthahn heiratete": Eine fast unmögliche Ehe

Vom altmeisterlich bemalten Vorhang lächelt ein milde gestimmter Gottessohn in die Runde. Er bricht das Brot für ein letztes Abendmahl mit der um den Tisch versammelten bürgerlichen Kleinfamilie.

Vom altmeisterlich bemalten Vorhang lächelt ein milde gestimmter Gottessohn in die Runde. Er bricht das Brot für ein letztes Abendmahl mit der um den Tisch versammelten bürgerlichen Kleinfamilie. Doch Vorsicht! Denn gleich, wenn der aus dem Off scheppernde Flugzeuglärm infernalische Lautstärke angenommen und der Vorhang sich gehoben hat, werden wir zwar auch eine um den Abendbrottisch versammelte Familie sehen, ihre Welt aber wird alles andere als harmonisch sein.

"Die Frau, die einen Truthahn heiratete" ist die erste Produktion der "Familiengeschichten", einer neuen Inszenierungsreihe des Carrousel-Theaters. Weil wohl nichts langweiliger wäre, als dem jugendlichen Publikum (ab 13 Jahren) die Erfahrungen ihrer eigenen Familienwelt als Dokusoap vorzuspielen, macht Regisseur Uwe Cramer aus dem Stück der schwedischen Autorin Gunilla Boethius einen schrillen Comic. Das bietet sich schon deshalb an, weil das Personal mit maschinenartigen Menschen-Mutanten und sprechenden Tieren bestückt ist: als seien sie aus einer Märchen-Fabel oder direkt aus Entenhausen auf die knallgelbe und ziemlich schräge Bühne gestolpert.

In der bröckelnden, von dröhnenden Düsenjets umzingelten Familienhölle gibt es einen grauköpfigen, seine moralischen Durchhalteparolen in ein Nebelhorn trötenden Papa (Lutz Dechant), eine sich durchs Chaos nölende, Kinder und Kanalratten gleichermaßen herzende Mama (Birgit Berthold), eine fettsüchtige, heftig unter Liebeskummer leidende Tochter (Vera Kreyer) und einen ebenso arbeitslosen wie langohrigen Sohn (Christian Keiser), der nach und nach zum Hasen mutiert und sich als "Philosoph der freien Wildbahn" versteht. Der tierische Unsinn steigert sich noch, wenn Robert (Michael Schwager), ein rotgesichtiger, durch diverse Operationen zum Mensch umgemodelter Truthahn ins Sprechblasen-Getümmel eingreift. Ihn, der mit Körner pickendem Puter-Kopf herumstolziert, haben die sich gnadenlos durch die ausufernde Zimmerschlacht fuhrwerkenden Eltern als Schwiegersohn auserkoren.

Und siehe da, der dumme Puter ist ein vorbildliches Familientier. Deckt den Tisch, schleppt Geschenke an, überschüttet seine garstige Gattin mit Liebe. Bis er merkt, dass die Menschen seiner nach dem Lehrbuch des familiären Glücks erarbeiteten Rituale längst überdrüssig sind und ihr verkorkstes Miteinander nur noch lustvoll zerstören wollen, vergeht viel Zeit. Die füllen die aufgedreht agierenden Darsteller mit Slapstick-Endlosschleifen und rhetorischem Müll. Es passiert nichts, das aber umso lauter. Was als bizzarer, böser Familiencomic beginnt, wird allmählich zu tierischem Blödsinn. Irgendwann wünscht man sich nur noch dessen Ende herbei.

Frank Dietschreit

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