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Armut ist Horror. Michelle Pfeiffer beeindruckt als Kyra.

© Kinostar

Michelle Pfeiffer in "Wo ist Kyra?": Die Frau im Dunkeln

Über 50, arbeitslos, geschieden: Michelle Pfeiffer spielt in der Charakterstudie „Wo ist Kyra?“ eine Frau, die zunehmend aus der Gesellschaft verschwindet.

Eine dunkle Sonnenbrille, eine graue Perücke, ein dicker Wollschal und zusätzlich eine ins Gesicht gezogene Wollmütze: Wer Michelle Pfeiffer, eine der glamourösesten US-Schauspielerinnen der achtziger und neunziger Jahre, derart vermummt, weiß hoffentlich, was er tut. „Wo ist Kyra?“, so heißt das neue Werk der Hollywood-Ikone, die zuletzt als Superheldin Wasp im Blockbuster „Avengers: The Endgame“ zu sehen war. Regisseur Andrew Dosunmu inszeniert Michelle Pfeiffer ganz bewusst als Antithese zu ihrer Rolle in „Catwoman“, in der sie in Tim Burtons „Batmans Rückkehr“ 1992 als Sexsymbol auftrumpfte. Der Titel zielt auf das ab, was hier geschieht: Eine Frau, die die Fünfzig bereits überschritten hat, versucht vergeblich, einen Job zu finden und verschwindet zunehmend aus der Gesellschaft, die für sie keinen Platz mehr bereithält.

Kyra, die Titelheldin, zieht nach der Scheidung zu ihrer Mutter nach Brooklyn, so die Vorgeschichte. In dieser Wohnung einer alten Frau, mit vergilbten Tapeten, altmodischen Nachttischlampen und schmutzigem Geschirr in der Küche, beginnt der Film. Durch den Türspalt sieht man, wie Kyra ein Bad einlässt. Es ist Abend, die Wohnung nur schwach erleuchtet. In der Dunkelheit hebt sich das Gesicht der Mutter (Suzanne Shepherd) ab, sie wartet auf ihr Bad. Ihr Kopf ist geneigt, der Blick gesenkt, Falten durchziehen die Haut. Es ist ein ikonisches Bild des Alters, der Demut und der Bescheidenheit – und eine der schönsten visuellen Figurenexpositionen, die man in letzter Zeit auf der Leinwand gesehen hat.

Die Dunkelheit, die die Figuren in den ersten Szenen einrahmt, wird bleiben. Auch der Außenraum ist in ein dämmriges Licht getaucht, es wird nie richtig hell in diesem Film. Wenn Kyra die Wohnung verlässt, um sich einen Job zu suchen, verliert sie sich fast im Straßenbild, wird eine jener vielen Unsichtbaren, die aus dem gesellschaftlichen Leben gedrängt werden. Gleichzeitig verschwimmt um sie herum die unscharf werdende Stadt. Es sind eindrucksvolle Bilder einer neuen „Großen Depression“, die Bradford Young fotografiert hat. Der Kameramann, der für „Arrival“ als erster Afroamerikaner in seiner Sparte eine Oscar-Nominierung erhielt, arbeitet seit 2013 mit Andrew Dosunmu zusammen: der eine fungiert gewissermaßen als Wegbereiter des anderen.

Dosunmu such nach keiner romantischen Lösung

Dosunmu kam aus Nigeria nach New York und machte bislang Filme, die in der Diaspora afrikanischer Immigranten spielen, gefeiert als ein neues „Black Cinema“. Diesmal ist er in das New York der Arbeiter getaucht und inszeniert Alter und Klasse statt „Blackness“. Michelle Pfeiffer kehrt hier in einer Charakterrolle zurück auf die Leinwand, die an ihre Darstellung in „Frankie & Johnny“ (1991) anzuknüpfen vermag, in der sie eine mittellose Kellnerin spielte. Nur dass Dosunmu nach keiner romantischen Lösung sucht. In „Wo ist Kyra?“ kann die Frau nicht vor der sozialen Misere gerettet werden, auch nicht von Taxifahrer Doug, gespielt von Kiefer Sutherland, der in einer Bar zarte Bande mit Kyra knüpft.

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So geht mit unbezahlten Rechnungen, abgedrehter Heizung und stummem Telefon der Abstieg unaufhörlich weiter. Drehbuchautorin Darci Picoult vermeidet jedoch naheliegende Plot-Zuspitzungen. Stattdessen wandelt sich nach dem Tod der Mutter das Sozialdrama in einen subtilen Thriller, und der „American Dream“ verkehrt sich zum Albtraum.

Plädoyer für mehr Humanität

Der soziale Horror, betont durch die unheilvolle Filmmusik in einem ansonsten ganz auf den Originalton vertrauenden Film, manifestiert sich in einer starken Metapher, wenn zwischendurch, ganz und gar unvermittelt, eine alte Frau mit Gehstock erscheint, die sich langsam durch New York bewegt. Sie ist nur schemenhaft auszumachen, wie ein unheimliches Trugbild der Straße. Später wird klar: Es ist Kyra, die, als ihre verstorbene Mutter verkleidet, unterwegs ist.

Ein einprägsames Bild für den sozialen Tod. Keiner der von ihr eingeschlagenen Wege bringt Kyra zurück in die Mitte der Gesellschaft. Die Geschichte von einer Welt ohne Empathie inszeniert Dosunmu als nachdrückliches Plädoyer für mehr Humanität. Der Film läuft im Kino Sputnik

Dunja Bialas

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