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Kultur: Die Front rückt näher

„Der Apfel des Herzens“: irakisches Theater beim „Seidenstraßen“-Festival an der Ruhr

Von Dorothea Marcus

Ein irakisches Theatergastspiel in Deutschland, während die amerikanischen Kriegsdrohungen gegen Saddam Hussein die Schlagzeilen füllen und sogar die Bundestagswahl beeinflussen – das ist kulturpolitische Brisanz, wie Roberto Ciulli sie mag. Wieder einmal fällt das arabische Theaterfestival „Seidenstraße“, das jeden September von Ciullis Theater in Mülheim an der Ruhr veranstaltet wird, in eine politische Krisensituation. Für Ciulli, der im April als erster westlicher Regisseur auf Gastspielreise in den Irak fuhr (siehe Tagesspiegel vom 18. April), ist der drohende Krieg Bestätigung für die Dringlichkeit seiner Vision: mit Theateraustausch für eine friedliche Weltrepublik einzutreten. Ciulli hat einen neuen Coup gelandet: Das irakische Nationaltheater lädt, zum ersten Mal überhaupt, ein Stück aus dem Iran nach Bagdad ein, und zwar „Bernarda Albas Haus“, das Roberto Ciulli selbst als erster westlicher Regisseur Anfang des Jahres im Iran inszeniert hat und das im Mai auch in Berlin zu sehen war: die theatralische Versöhnung von zwei Ländern, die sich einst in einem achtjährigen, blutigen Krieg aufrieben und immer noch als Todfeinde gelten.

Das Gastspiel aus Bagdad in Mülheim trug den vollmundigen Titel „Der Apfel des Herzens“ und ist von Fellah Shakr, im Irak der meistgespielte Gegenwartsautor. Ein modernes Märchen in einer surrealen Landschaft aus Pappmaché. Am Bühnenrand liegt ein angebissener, überdimensionaler Apfel, im Hintergrund steht ein klassizistisches Tor, dem eine Säule fehlt. Die Herrschaft ist brüchig, der König herzkrank, nur eine Herztransplantation kann helfen. Rettung kommt von einer jungen, schönen Untertanin, in die der König sich prompt verliebt. Doch ihre Liebe wird der Staatsräson geopfert: Die Schöne muss, ja will sogar sterben. Mit aufgerissenen Augen, hoch gerissenen Armen und deklamierter Leidenschaft überreicht sie ihm den Apfel. Der König beißt hinein, Blut strömt dem Mädchen aus dem Mund. Doch auf dem Weg zu seinem Thron strauchelt der vampiristische Herrscher. Ein geheimes Zeichen, das die monströse Aussage des Stücks in ihr Gegenteil verkehrt?

Gern würde man es so sehen – und kann doch nicht entscheiden, ob hier die plumpe Verherrlichung eines Diktators betrieben oder zensur-kompatible Kritik geübt wird an einem Regime, das sich ja tatsächlich vom Blut seiner Bevölkerung nährt. Regisseur Riadh Shabid bleibt im Ungefähren: „Es geht um die Beziehung von Macht und Volk. Die Wertung überlasse ich dem Zuschauer, jeder muss selbst entscheiden, auf welcher Seite er steht“. Über Politik will er nicht sprechen, sein Theater will vor allem für „Humanität“ eintreten. Am kommenden Krieg besteht für ihn kein Zweifel. „Es ist nur noch die Frage, wann“, sagt er, „das Spiel geht schon so lange, langsam kennen wir die Schachzüge.“ Und viel ändern, so Shabid, würde ein US-Angriff ohnehin nicht: „Wir fühlen uns seit zwölf Jahren wie im Krieg."

Dass man mit Theater Krieg verhindern kann, glaubt von den arabischen Theaterleuten in Mülheim niemand, auch wenn alle zutiefst von Ciullis Idee der kulturellen Kommunikation überzeugt scheinen. Saddams Diktatur lehnen die Ägypter, Tunesier und Iraner offen ab und fühlen sich dennoch zur Solidarität mit ihm gezwungen. „Mit Amerikanern will ich im Moment nichts zu tun haben“, sagt Hoda Wasfi, Leiterin des ägyptischen „Hanagar Arts Center“, das von der UNESCO für seine „interkulturelle und experimentelle Arbeit“ ausgezeichnet wurde und bei dem regelmäßig westliche Regisseure zu Gast sind.

In ihrer Produktion „Die Brandstifter“ indes ist von Experiment nichts zu spüren. Laien und professionelle Darsteller haben an einer Kompilation aus „Biedermann und die Brandstifter“ und „Macbeth“ geschrieben. Brandstifter nisten sich bei einem Geschäftsmann ein, flirten mit seiner Frau. So unverschämt und brutal sie auch sind, letztlich sind sie die Guten und helfen, einen Mord aufzuklären, den der Geschäftsmann begangen hat. Das Stück ist eine plakative Kapitalismuskritik, ein naives Plädoyer für den Einsatz von Gewalt: der Brand als Katharsis einer von Geldgier erstickten Gesellschaft.

„Es gab eine Zeit, da haben die Amerikaner vom Selbstbestimmungsrecht der Völker gesprochen, das scheinen sie nun vergessen zu haben. Ein Volk muss seine Diktatoren selber stürzen“, sagt der tunesische Regisseur Slim Sanhaji, der mit „Die Reise“ und „Eine Stunde der Liebe“ zwei hervorragende Inszenierungen mitgebracht hat, die sich offen mit der Situation der Frau im Islam auseinandersetzen. „Und außerdem gäbe es ja immer noch die Möglichkeit, Saddam zu töten und nicht sein Volk bluten zu lassen. Aber die Amerikaner machen ohnehin, was sie wollen.“, sagt er, „letztlich fühlen wir uns alle vollkommen ohnmächtig.“

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