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Kultur: Die ganze Wahrheit

FERNSEHZIMMER Kurt Scheel plaudert aus dem Nähkästchen Meine Eltern hatten ein Kino, ein Dorfkino auf einer Elbinsel bei Hamburg, die „Altenwerder Lichtspiele“. Eröffnet wurden sie am ersten Weihnachtstag 1945, und bis zum Ende der fünfziger Jahre lief alles recht gut, aber dann kam das Fernsehen, und die älteren Leute blieben nun abends lieber zu Hause.

FERNSEHZIMMER

Kurt Scheel plaudert aus dem Nähkästchen

Meine Eltern hatten ein Kino, ein Dorfkino auf einer Elbinsel bei Hamburg, die „Altenwerder Lichtspiele“. Eröffnet wurden sie am ersten Weihnachtstag 1945, und bis zum Ende der fünfziger Jahre lief alles recht gut, aber dann kam das Fernsehen, und die älteren Leute blieben nun abends lieber zu Hause. Das Fernsehen war der Feind, es wollte offensichtlich unsere berufliche Existenz zerstören. Ehrensache, dass wir es boykottierten, so ein Teufelsapparat kam uns nicht in die Wohnung.

Als Jugendlicher habe ich also nur bei Freunden TV geguckt, regelmäßig am Samstagnachmittag bei Kuddl Langeloh. Da saßen wir beiden allein im Wohnzimmer des Bauernhauses, rauchten Lord Extra, die waren in einem Globus versteckt, den konnte man auseinanderziehen, und schon bot sich ein verführerischer ZigarettenIgel dar. Dazu tranken wir Cola, später dann Cola-Rum, oh je. Wenn ich abends auf meinem Kleinkraftrad Zündapp KS 50 Super wegfuhr, musste ich schwer aufpassen, nicht dem Dorfpolizisten Willy Wiesel (der hieß wirklich so, ich schwöre!) zu begegnen.

Ich erinnere mich an Heinz Maegerleins Quizsendung – oder hieß das damals noch Ratespiel? – „Hätten Sie’s gewußt?“, und natürlich an den „Beat-Club“ aus Bremen. Wir rauchten wie verrückt, und Uschi Nerke, die zuckersüße Moderatorin, hätte uns schmucke Jungs gerne als bloße Sexobjekte ansehen und folgerichtig vernaschen können, wir hätten kaum Widerstand geleistet. Der Höhepunkt dieser paradiesisch-höllischen Nachmittage war dann aber natürlich, wir waren richtige Jungs!, die Sportschau, HSV und Uwe Seeler, ach ja. Da gab es Typen im Studio, das glauben Sie nicht, ein Herr Adler zum Beispiel, und die trugen Brillen, die wären heute Tausende wert, in Euro!

Den ersten Fernseher bei uns besaß ich – die Eltern hielten eisern am Boykott fest. Ich bekam ihn Mitte der Sechzigerjahre aus dem Nachlass einer Verwandten, ein uraltes Ding (der Apparat!), eine Art Volksempfänger mit Zimmerantenne, praktisch unbenutzbar. Und da geschah es: Immer, wenn im Hamburger Raum eine Sturmflut drohte (unsere Insel war 1962 total abgesoffen), wurde nicht, wie üblich, gegen Mitternacht das Programm beendet, sondern weitergesendet für etwaige Katastrophenwarnungen. Und da sah ich eines nachts „Cocoanuts“ mit den Marx-Brothers, von denen hatte ich noch nie gehört, und mein Leben zog in Sekundenschnelle an mir vorbei, ich hatte außerdem ganz deutlich den Geschmack einer in Tee getauchten Madeleine im Mund: Epiphanie Hilfsausdruck. Ein klarer Gottesbeweis, und von Stund an war das Fernsehen nicht mehr der Feind, sondern das, was es eigentlich immer schon gewesen war: ein Fenster zur Welt. Ein kleines Fenster nur – kein Vergleich mit der glamourösen Kinoleinwand –, aber doch ganz unverächtlich und letztlich lobenswert, sogar für einen Kinobesitzersohn.

Praktisch von Saulus zu Paulus. Und nun verstehen Sie sicherlich auch, warum ich trotz Großem Latinum und Hochintellektualität (Adorno, Luhmann, Fischer von Erlach: hab’ ich alles drauf, nachweisbar!) meine sentimentale Zuneigung zum erzdummen Fernsehen nie ganz verloren habe. Und warum ich das Nörgeln an einzelnen Sendungen so langweilig finde, zumal in Zeiten des Programmreichtums. Wer aus dem Fenster blickt, und immer nur Hundescheiße und entwurzelte Jugendliche sieht, nicht aber den stattlichen Ahorn, den frischpolierten Opel Vectra, dem ist nicht zu helfen. Da halte ich es lieber mit Klopstocks wunderbarer „Frühlingsfeier“: „Nicht in den Ocean / der Welten alle / Will ich mich stürzen“, sondern „Nur um den Tropfen am Eimer ... will ich schweben“; denn ist das „Frühlingswürmchen / Das grünlichgolden / Neben mir spielt“, nicht ein sehr treffendes Bild fürs Fernsehen? „Ob das goldne Würmchen / Eine Seele hatte?“ Klopstocks Antwort ist eindeutig: „Warest du nur gebildeter Staub, / Würmchen, so werde denn / Wieder verfliegender Staub“. Pantheismus beziehungsweise Panentheismus: „Mit tiefer Ehrfurcht, / Schau ich die Schöpfung an!“

Mit anderen Worten: Wir sollen auch das Kleine und Geringgeschätzte achten, nit nur immer nörgeln und besserwissen, denn siehe, auch das Fernsehen ist Teil der Schöpfung, aber hallo! Und wir wollen auch nicht vergessen, dass unser Fernseh-Würmchen für so viele Erniedrigte und Beleidigte ein braver Freund und Kumpan ist, für die Alten und Einsamen, die Arbeitslosen und Kranken. Alles in allem ist das Fernsehen eine prima Erfindung, und das soll auch im Kulturteil einer Qualitätszeitung einmal furchtlos ausgesprochen werden – oder darf man das auch schon nicht mehr sagen? Denn machen wir uns nichts vor: Manche Lordsiegelbewahrer des Hochfeuilletons blicken immer noch recht herablassend auf unseren armen TV-Tropfen, bevor sie uns den ganzen Kultur-Eimer mit Schmackes über den Kopf gießen.

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