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Kultur: Die Gesichter Amerikas

„Nicht in unserem Namen“: In den USA wächst die Kritik an George W. Bushs neuer Interventions-Doktrin

Von Caroline Fetscher

1904 wandte sich Präsident Theodore Roosevelt mit folgenden Worten an den Kongress der Vereinigten Staaten: „Chronisches Fehlverhalten oder ein Unvermögen, welches dazu führt, dass sich ganz allgemein die Bande der Zivilisation lockern, kann letzten Endes in Amerika oder andernorts die Intervention einer zivilisierten Nation erforderlich machen. In der westlichen Hemisphäre können sich die auf die Monroedoktrin verpflichteten Vereinigten Staaten gezwungen sehen, angesichts abscheulicher Fälle solchen Fehlverhaltens oder Unvermögens, die Aufgabe einer internationalen Polizeimacht zu übernehmen."

Nein, nicht die Kritiker der USA haben die Metapher Weltpolizei erfunden, sondern der Präsident jenes Landes, das wenige Generationen zuvor noch eine Kolonie gewesen war und sich befreit hatte. Für das Selbstverständnis kommender Administrationen wurde diese Haltung prägend, und Roosevelts Zitat taucht natürlich auch auf in Max Boots jüngst erschienenem Buch „The Savage Wars of Peace: Small Wars and the Rise of American Powers“ (Basic Books, New York), einer Zeitgeschichte militärischer Interventionen. Boot beschreibt, wie sein Rezensent Brian Urquhart in der neuesten Ausgabe der „New York Review of Books“ ergänzend und sicher nicht ganz im Sinn des Autors kommentiert, „den allmählichen Verlust der Unschuld“ in einer Serie von Militäraktionen, deren erste noch dazu dienten, den amerikanischen Seehandel vor Piraterie zu bewahren. Um Seeräuber ging es den USA in den kommenden Epochen kaum mehr, sondern um „Ruhe“ im großgeografischen Hinterhof und um einige heiße Kriege, die dem Kalten nachhelfen sollten. Einzudämmen galt es die Ausbreitung des Kommunismus, sprich: der Unfreiheit.

Je ferner aber das Ziel und je unverhältnismäßiger die Mittel wurden, umso stärker regte sich Unmut oder Protest im Land – und schließlich weltweit. „Give Peace a Chance“ sangen die bunt gewürfelten Massen auf Washingtons Alleen, und „Vietnam“ wurde zum Synonym für Kritik an US-Alleingängen – wie dem Größenwahn von US-Militärs überhaupt. In den 90-er Jahren, als auf die Post-War-Era die Post-Wall-Era folgte und die Grenzlinien des Kalten Krieges an Bedeutung verloren, löste sich in den USA der Isolationismus an den Rändern auf. Gemeinsam, im Rahmen der Nato, betrieb man die Intervention in Jugoslawien, als den ersten humanitären Krieg der Geschichte, der diese Bezeichnung annähernd verdient. Auf Washingtons Alleen wurde nicht dagegen marschiert. Vielen, auch kritischsten Köpfen, erschien diese Intervention gerechtfertigt.

„Die Opfer nicht gebührend zu schützen, läuft auf eine stillschweigende Intervention zugunsten derjenigen hinaus, die humanitäre Rechte oder Menschenrechte verletzen“, bemerkt die Sozialwissenschaftlerin Mary Kaldor („Neue und alte Kriege“, Suhrkamp Verlag, 2000) zum Fall Jugoslawien. Wann ist dieser Fall gegeben? Wann geht die amerikanische Bevölkerung mit, wann die Verbündeten der USA? Die Sache muss klar liegen. Im Fall Kosovo, wo die humanitäre Katastrophe nach einem Jahrzehnt verfehlter Diplomatie des Westens angesichts des ungehemmten Durchsetzens der Apartheid von Serben wider Albaner immer offensichtlicher wurde, musste etwas geschehen, dazu bedurfte es nicht des Racak-Massakers.

Gute Große, böse Kleine

Außenminister Joschka Fischer spricht vom Zeitalter der „asymmetrischen Kriege“: Die guten Großen, die Megademokratien, bekämpfen die bösen Kleinen. Das David-und-Goliath-Prinzip kehrt sich um. Vom Taliban-Regime in Afghanistan, einem Schurkenstaat im Wortsinn, ging eine Gefahr aus, da es dem Training von weltweit operierenden Terroristen Unterschlupf bot. New York war davon getroffen worden, Washington auch. Der Taliban-Staat, ohne Demokratie und Recht, war Basis eines paramilitärischen Verbrechens gegen die Menschlichkeit. Die USA gingen – ausgestattet mit klarem Uno-Mandat – gegen Afghanistan vor. Seither hat es immerhin Anschläge wie die der Piloten-Attentäter nicht mehr gegeben. Als Nebeneffekt der Beseitigung des Regimes gelten in Teilen des Landes wieder die Menschenrechte, Frauen und Mädchen in Kabul werden nicht mehr wie Tiere gehalten.

Kriegshistoriker Max Boot kommt zu dem Schluss, dass Interventionen wichtig sind, um der Freiheit weltweit zum Recht zu verhelfen. Ruandas Massenmörder zum Beispiel seien motiviert worden, als sie die Risikoscheu der Amerikaner in Somalia bemerkt hatten. Sie hatten nach dem Tod von 18 US-Rangers das Weite gesucht. Boots Rezensent Urquhart holt in der jüngsten „New York Review of Books“ noch weiter aus: Wenn schon Hegemonialstreben, dann wohlmeinendes: „The key word is benevolent.“ Als wohlwollend werden die USA aber keineswegs überall empfunden. Dies, so Urquahart, liege an ihrer Weigerung, sich mit internationalen Institutionen und internationalem Recht anzufreunden, der „einzigen Chance für eine relativ friedvolle Zukunft“.

Zehntausende US-Anwälte und Menschenrechtler sind ähnlicher Ansicht und fechten publizistisch, etwa in der „New York Times“ und als Lobbyarbeiter auf Konferenzen für den Internationalen Strafgerichtshof; Millionen sind in Umweltgruppen aktiv und bekämpfen die offizielle Haltung der USA zum Kyoto-Protokoll für den Klimaschutz. Und nun, spätestens seit Präsident Bush im Juni vor Kadetten der Militärakademie Westpoint seine neue Doktrin der „unilateralen Erstschläge“ erläuterte, seit er anonymen Mächten und Achsen des Bösen den „nie endenden Krieg“ erklärte, gruppieren sich mehr und mehr Intellektuelle, Künstler, Akademiker zu einer Bewegung, die noch keinen n besitzt, aber doch einen Aufruf. Noch vor wenigen Monaten mahnten amerikanische Akademiker und Schriftsteller deutsche Kollegen und US-Kritiker vor naiven Pauschalurteilen gegen die USA im Krieg gegen das Taliban-Regime. Um diese Gruppe, die damals stolz auf die Besonnenheit ihrer Regierung nach dem 11. September 2001 verweisen konnte, auf die internationale Anti-Terror-Allianz, die diese unter Colin Powells Leitung auf die Beine gestellt hatte, ist es stiller geworden. Denn das Gegenteil dessen geschieht, was viele vorausgesagt hatten. Die USA sind nicht sofort und blindlings auf ihre Feinde losgegangen, sie ließen sich Zeit. Es scheint, als ob der psychologische Stau dieser ersten, erzwungenen Zurückhaltung sich nun in der neuen Bush-Doktrin entlädt. Sie ruft andere auf den Plan.

Einsatz gegen Alleingänge

Gegen die Doktrin der „Nicht in unserem Namen“ überschreiben über 2000 amerikanische Prominente ihren Aufruf an den Präsidenten. Von der Perfomance-Künstlerin Laurie Anderson bis zu Oliver Stone und Robert Altman, von Veteranen der Opposition wie Angela Davis und Noam Chomsky bis zu jungen HipHop-Musikern, Ivy-League-Professoren, Schriftstellern und Dichtern, christlichen, jüdischen und muslimischen Vertretern sind es Leute aus allen Lebensbereichen, die der Bush-Administration untersagen wollen, von „Amerika“ als „wir“ zu sprechen und die Doktrin der Alleingänge als Ausdruck des allgemeinen Bürgerwillens darzustellen.

„Not in Our Name“ ( www.nion.us ) ist ein zorniger Appell: „Wir verweigern Ihnen das Recht, im Namen aller Amerikaner zu sprechen“, heißt es, „wir weigern uns, an diesen Kriegen teilzuhaben“. Und: „Wir reichen denen in der Welt unsere Hand, die unter dieser Politik leiden, in Wort und Tat werden wir unsere Solidarität zeigen.“ Der starken Rhetorik, die weder zottelmähnig noch mit Flower-Power daherkommt, fehlt es nicht an historischen Vergleichen. Wie Häftlinge aus Afghanistan im Gefängnis von Guantanamo-Bay behandelt würden, das, so der Aufruf, gleiche den „Konzentrationslagern für aus Japan stammende Amerikaner im Zweiten Weltkrieg“; jeder verbale Widerstand von dissidenten Künstlern, Intellektuellen und Professoren gegen den Staat, der ein Zweiklassensystem von Verdächtigen und Unverdächtigen errichte, werde „verzerrt, attackiert und unterdrückt“. Die über 2000 Unterzeichner von „nion“, einem Akronym, das auf Englisch wie „Neon“ klingt, wollen in grelles Licht tauchen, was die US-Öffentlichkeit nur im patriotischen Halbdunkel wahrzunehmen scheint. Sie erinnern an die liberalen Traditionen der USA, die Befreiung der Sklaven, der Aufstand gegen den Vietnamkrieg - und erklären israelische Kriegsdienstverweigerer zu ihren Inspiratoren.

Schon Anfang des Jahres hörte man vor allem Universitätsangehörige aus den USA am Rande von Konferenzen und Meetings über einen „neuen McCarthyismus“ klagen: E-mails würden kontrolliert, Demonstrationen beargwöhnt, freie Meinungsäußerung verdächtigt, Grundrechte von Erosion bedroht. Helft uns, ihr in Europa, heißt es. Wieso euch, fragen manche Europäer zurück, andere brauchen unsere Unterstützung wohl dringender.

Angesichts der simplizistischen Bush-Doktrin wird der Solidaritätsappell ernster. Doch die konzentrierte Sprache des Nion-Aufrufs ebnet, notgedrungen, viele der Differenzierungen ein, die in der Ära der neuen Kriege angebracht wären. „Völker und Nationen“, schreiben die Autoren, „haben das Recht, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, frei von militärischem Druck durch Supermächte.“ Mit der Einsicht Mary Kaldors und anderer, dass auch Nichtintervention eine Intervention sein kann - zugunsten der Täter - setzt sich dieser Appell nicht auseinander. So bedrohlich wirke die Doktrin des „New Bushism“, dass man sich etwa das Unterscheiden zwischen innenpolitischer Repression und außenpolitischer Aktion nicht leisten will.

An konstruktive Opposition scheinen Amerikas interne Kritiker kaum denken zu können, allein an zornige, verzweifelte Dissidenz. Millionen werden sie damit nicht mobilisieren, solange George W. Bush, in Ermangelung eines gefangenen Symbolfeindes wie Osama bin Laden, den Ersatzfeind Saddam Hussein tagtäglich in allen US-Medien zur Weltgefahr erklärt. Seit dem Schock des 11. September fehlt in den USA fast jede öffentlichkeits-wirksame kritische, demokratische Diskussion der Regierungspolitik. Im Kongress und Senat gibt es keine selbstbewusste Opposition. Auch die heiße Rhetorik der Dissidenten schafft nicht den nötigen öffentlichen Diskurs. Und die Frage ist, welche Rolle die europäischen Partner nun spielen können. Als Kritiker und Freunde.

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