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Kultur: Die Gewalt der Gewalt - Uraufführung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters

"Das mach ich nich." Nein, der Leiche ihres Vaters einen Fußtritt zu versetzen, wie ihre Mutter von ihr fordert - so weit will die junge Frau nicht gehen.

"Das mach ich nich." Nein, der Leiche ihres Vaters einen Fußtritt zu versetzen, wie ihre Mutter von ihr fordert - so weit will die junge Frau nicht gehen. Aber weinen kann sie ebensowenig wie ihre Mutter über den "Vatta", der da, von einem jungen Mann vor ihren Augen über den Haufen geschossen, bäuchlings auf dem Boden liegt. "Tritt ihn ruhig, dafür dass a mich imma geschlagen hat", geifert die Mutter, "nu tritt den doch endlich, Kind, der is doch tot, tritt zu."

Was wird hier gespielt? Ein Familiendrama? Ein Schauspiel, das auf der Bühne nacherzählt, was in den Tageszeitungen als Polizeibericht erscheint? "Hasenfratz" von Martin Baucks - unter der Regie des Autors uraufgeführt in den Kammerspielen des Berliner Deutschen Theaters - will mehr sein als die Aufarbeitung eines privaten Sozialfalls. Das Stück will das Phänomen der Gewalt schlechthin zeigen, physischer, psychischer, auch politischer Gewalt. Max Hasenfratz ist jener junge Mann, der den Vater der Familie erschossen hat: ein Punker, der sich damit für den Tod seines Bruders hat rächen wollen. Denn Vater Otto ist ein Rechtsradikaler, ebenso wie Rainer, mit dem Ottos Tochter Edda verlobt ist, alle beide Gesinnungsgenossen jener "Glatzen", die den Bruder von Max totgetrampelt haben. Max selber ist eigentlich eher ein lieber Kerl - die Tatwaffe hat er nicht etwa, zum Fememord entschlossen, bei sich geführt, sondern im Hause vorgefunden, in Eddas Kammer, in die er sich vor der Hetzjagd der Glatzen geflüchtet hatte. Die alte Erfahrungstatsache: Waffen, sind sie einmal da, werden irgendwann auch benutzt ...

Rationale Erklärungen für die Vorgänge und ihre Hintergründe liefert der Autor seinerseits freilich nicht, er müsste dies auch nicht tun, wenn das Stück für sich selbst spräche. Martin Baucks überdreht jedoch die Schraube der Gewalt, indem er der Thematik Rechtsradikalität-Punker-Autonome etwas hinzufügt, das damit in keinem Zusammenhang steht: die Gewalttätigkeit, die sich in so genannten Drückerkolonnen entwickeln kann. Eddas Mutter Katharina verwandelt sich, Kleid und Haartracht wechselnd, unversehens in Deborah, die Führerin einer solchen Kolonne von Klinkenputzern, die, von Haus zu Haus ziehend, Zeitungsabonnements einwerben und dabei nicht nur Druck auf die potenziellen Kunden machen, sondern auch untereinander. Eine Quälerei, die tödlich enden kann - jedenfalls für Max, den Deborah zwingt, im Wald sein eigenes Grab auszuheben. "Das mach ich nich", sagt Max, ganz so wie Edda sich geweigert hat, den Vater mit Füßen zu treten, es hilft ihm aber nichts.

Eruptionen der Gewalt, dazwischen Momente dumpfer Sprachlosigkeit: 90 Minuten, die sich im Werkraum der "neuen" Kammerspiele zu einem Alptraum auswachsen, zu einem Rondo der Schrecken. Gralf-Edzard Habben hat mit erheblichem technischen Aufwand das Ambiente entworfen: ein möbliertes Kabuff, davor ein Auslauf mit Versenkung, darüber eine Blackbox, die sich gelegentlich über die Spielfläche stülpt; dann hört man nur noch, wie diese Menschen sich dahinter brüllend und stöhnend drangsalieren. Robert Gallinowski (Rainer) und Udo Kroschwald (Vater Otto, der später um Nutten freit) sind die beiden "Glatzen", wächsern fahl in ihrem Fleisch, und Katrin Klein ist als Familienglucke eine ordinäre Schlampe, als Kolonnenchefin eine mondäne Zicke. Mit so bewundernswertem wie erbarmungswürdigem Mut zur Hässlichkeit spielen Karen Stefanie Heise und Roman S. Pauls die beiden jungen Leute, aus denen unter besseren Bedingungen ein Paar werden könnte: Edda und Max, zwei zitternde und zeternde, stammelnde und schreiende Nervenbündel. Aus dem Off tönt dazu der Nirvana-Song "Rape me" - "Vergewaltige mich".

Für Martin Baucks ist Gewalt ausdrücklich kein soziales Phänomen, sondern naturgegeben. Also unabänderlich? Man verlässt das Theater wie vor den Kopf geschlagen.Nächste Vorstellungen: 20. und 30. März.

Günther Grack

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