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Kultur: Die große Ekstase des Werner H.

Außenseiter des deutschen Films: Das Berliner Filmmuseum würdigt Werner Herzog mit einer Ausstellung

Von Kai Müller

Man kann Werner Herzog für einen furchtbar schlechten Filmemacher halten. Denn nur, wer vom Filmemachen nicht das Geringste verstanden hat, kommt vermutlich auf die Idee, ein echtes Schiff über einen echten Berg zu ziehen. Herzog hat das für „Fitzcarraldo“ 1982 getan, für eine Geschichte, in der es eigentlich um ein Opernhaus geht, das im Urwald errichtet werden soll. Warum aber ließ er etwas Wirklichkeit werden, das seinem Wesen nach Fiktion ist? Werden Geschichten schöner erzählt, wenn der Erzähler weiß, wovon er spricht?

Werner Herzog hat sich mit den schönen Kinolügen nie zufrieden gegeben. Er wollte, dass der Dampfer tatsächlich „schlammbeschmiert und fest vertäut auf der obersten Linie des Höhenzuges sitzt, und zu beiden Seiten zieht sich die Schneise des Urwalds zum Pachitea und zum Ucayali hinunter, der rötliche Lehm ist nur noch ein grundloser Morast“. Es ist dieser Authentizitätszwang, der Werner Herzog zu einer umstrittenen Figur des deutschen Films gemacht hat – zum ewigen Außenseiter, von dem sich die Branche fern hält, weil sie ruinöse Kosten und einen Aufwand scheut, der von Herzogs finsterer Entschlossenheit in unkontrollierbare Gefilde gesteuert wird.

So hat der im Ausland wegen seines „germanischen Fiebers“ geachtete Regisseur seit 1987 nur noch zwei Spielfilme gemacht. Zuletzt „Invincible“ über den Magier Hanussen. Dass das Berliner Filmmuseum Herzog jetzt unter dem Titel „Jeder für sich und Gott gegen alle“ eine Sonderausstellung widmet, ist vor diesem Hintergrund nicht nur eine freundliche Geburtstagsgeste – Herzog wird am 5. September 60 Jahre alt. Es gilt auch, einen unbequemen Visionär wieder zu entdecken, der wie kein anderer den deutschen Autorenfilm vorangetrieben und vor ethische Probleme gestellt hat. Nicht nur hielt er die Trennung von Fiktion und Dokumentation für hinfällig und erlaubte sich, eine taubblinde Frau, deren Alltag zu schildern er vorgab, eigene Texte sprechen zu lassen; auch seine Faszination für alles Absonderliche löste immer wieder Befremden aus.

In einem frühen Manifest beschrieb der gebürtige Münchner, der sich als „bayerischer Regisseur“ sieht, seinen ästhetischen Ansatz als Suche nach einer „ekstatischen Wahrheit“. Sie reiche tiefer als es die von der Kamera erfassten Oberflächen vermuten lasse. Das visuelle Ereignis, dessen physische Präsenz Herzog auch bis zur persönlichen Erschöpfung forciert hat, gründet in einer seelischen Verzweiflung, die mit Worten nicht zu beschreiben ist. So haben seine Figuren, der Vampir „Nosferatu“, der Soldat „Woyzeck“, der Eroberer „Aguirre“, der aus der Ordnung gefallene Kaspar Hauser oder der von prophetischen Ahnungen heimgesuchte Glasbläser in „Herz aus Glas“, vor allem Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen.

Wie sehr Herzog sich von Einzelschicksalen angezogen fühlt, die aus der Ordnung gefallen sind, demonstrieren auch seine zahlreichen Dokumentarfilme. Wie der über einen Skispringer, dessen Triumphe und Abstürze in ergreifenden Zeitlupenaufnahmen gezeigt werden („Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner“). Oder der über Dieter Dengler, der nach einem alliierten Luftangriff auf sein Heimatdorf beschließt, Pilot zu werden, und während des Vietnamkrieges über Laos abgeschossen wird („Little Dieter Needs To Fly“). In der Schau des Filmmuseums kommen die meist fürs Fernsehen produzierten Dokumentationen nur am Rande vor, und in der begleitenden Retrospektive des Arsenal-Kinos ist vorerst keine einzige dieser Arbeiten zu sehen.

Im Mittelpunkt der kleinen, aus den Privatarchiven des Produzenten und Bruders von Werner Herzog, Lucki Stipetic, sowie des schweizer Fotografen Beat Presser zusammengetragenen Schau stehen Stand- und Dreh-Fotos, originale Drehbücher, Filmausschnitte, Storyboards, wenige Kostüme und der Honorarvertrag mit Klaus Kinski. Viele dieser Objekte werden erstmals gezeigt, trotzdem besitzen sie vor allem nostalgischen Wert. Die Ausstellungsmacher haben den Blick auf die Menschen geworfen, die Herzogs filmisches Werk mitgetragen haben. So werden auf kurzen Tafeln die Biografien seiner Mitstreiter erläutert, aber auch jener Protagonisten, die von Herzog „entdeckt“, oder besser: „aufgenommen“ wurden. Wie der kleine, zerbrechliche Schauspieler Clemens Scheitz, vor dessen labiler Psyche man den Regisseur gewarnt hatte. Oder der „Hombrecito“ genannte Bettler und Panflötenspieler, dem Herzog auf einem peruanischen Jahrmarkt begegnet war.

So ergibt sich eine rührende Huldigung. Doch eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Herzogs erratischem Werk ist das nicht. Sie müsste sich viel stärker dessen geistigen Vorbildern widmen. Sie müsste auch die Spannungen schildern, die seine Filme auszulösen im Stande waren.

Bis 30. November im Berliner Filmmuseum, Di-So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Am 31. August zeigt das Arsenal frühe Kurzfilme sowie „Mein liebster Feind“.

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