zum Hauptinhalt

Kultur: Die Hoffnung der Sirenen

Tanz und Trauma: die Choreografin Helena Waldmann über ihr Palästina-Projekt „Emotional Rescue“

Frau Waldmann, „Emotional Rescue“ entstand in Ramallah. Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet in einem Krisengebiet, in Palästina, einen Tanzfilm zu drehen?

Das Goethe-Institut hatte mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mit der Tanzkompanie El-Funoun in Ramallah zu arbeiten. Ich fand die Idee spannend, weil ich gerade mit „Letters from Tentland“ ein Iran-Projekt hinter mir hatte. Als ich in Ramallah zu arbeiten begann, habe ich als Erstes gelernt, dass die palästinensischen Darsteller nur sehr schwer aus ihrem Land herauskommen. Dort ein Stück zu inszenieren, das niemand sonst sehen kann, fand ich nicht interessant. So entstand die Idee zu einem Tanzfilm.

In dem Film sieht man immer wieder Zäune, Mauern, Kontrollpunkte und Stoppschilder. Dennoch ist es ein Tanzfilm!

Der Film erzählt von Behinderung und Nicht-Bewegen-Können. Auch oder gerade unter solchen Umständen tanzen die Menschen, um nicht verrückt zu werden.

Wie entstanden die dokumentarischen Passagen?

Ich habe die Tänzer gefragt: Habt ihr persönliche Geschichten, die ihr erzählen wollt? Acht von den über 20 Tänzern haben sich bereit erklärt, mir ihre Geschichte zu erzählen. Diese kreisen natürlich alle auch um das Thema Besatzung und Unterdrückung.

Legt der Film die Palästinenser nicht auf eine Opferrolle fest – und läuft so Gefahr, sich politisch vereinnahmen zu lassen?

Es ist richtig, die Palästinenser legen sich selbst auf die Opferrolle fest. Das hat zum einen mit der Geschichte zu tun. Und es hat ganz sicher auch damit zu tun, dass sie sich nicht frei bewegen können.

Aber aus diesem Faktum allein kann ich noch keine Vereinnahmung feststellen. Die Grenzen im Land führen ja auch bei den Israelis zu einem Trauma. Sie dürfen nicht auf die palästinensische Seite. Was in Wirklichkeit passiert ist, dass sowohl in Palästina wie in Israel das Volk den jeweiligen Medien und Ideologien ausgeliefert ist, weil eine konkrete Begegnung der Menschen nicht stattfinden kann. Auf beiden Seiten nicht.

In „Emotional Rescue“ werden die Leidensgeschichten immer wieder verfremdet. Die Szenen mit dem Krankenwagen muten fast surreal an.

Wir haben das Leitmotiv des Krankenwagens gewählt, weil man in Palästina ständig die Sirenen hört. So eine Sirene markiert das Unglück, aber gleichzeitig auch eine ganz merkwürdige Hoffnung: Nur ein Krankenwagen kann relativ problemlos die Grenze passieren. Ich wollte den Druck zeigen, den man in dem Land permanent aushalten muss. Und die Exzesse, die aus so einem Druck entstehen.

Der Film endet am Toten Meer. Spielen die Darsteller in der Schlussszene ihre eigene Rettung?

Sie retten sich ja permanent! Sie geben nicht auf und versuchen, sich mit der Hoffnung aufzuputschen. Darin liegt eine große Kraft.

Werden Sie den Film auch in Israel zeigen?

„Emotional Rescue“ wurde eingeladen zum ersten internationalen Video-Dance-Festival in Tel Aviv im Mai. Die El-Funouns wurden auch eingeladen, haben aber abgelehnt.

Sie tourten gerade mit „Letters from Tentland“, einem Stück, das Sie mit iranischen Frauen inszeniert haben. Dort dürfen Frauen in der Öffentlichkeit eigentlich nicht tanzen, Sie tanzen in und mit kleinen Zelten. Gibt es eine Chance, dass dieses Stück noch einmal in Iran aufgeführt wird?

Das Stück ist in Iran offiziell abgesetzt worden. Die Schauspielerinnen dürfen ab März auch nicht mehr touren. Meine Reaktion darauf ist: Ich werde eine neue Inszenierung machen unter dem Titel „Letters from Tentland – return to sender“. Die „Letters“ schicken wir postwendend zurück nach Iran, damit die Kommunikation weiter läuft.

Das Gespräch führte Sandra Luzina. Der Film „Emotional Rescue“ läuft heute in der Berliner Akademie der Künste, Hanseatenweg, 20 Uhr. Anschließend Diskussion mit Helena Waldmann, der Tänzerin Tamara Habash und der Journalistin Alia Rayyan; Moderation: Nele Hertling.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false