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Kultur: Die Ich-WG

Polit-, Liebes- und Gruppenstress: Stefan Krohmers „Sie haben Knut“ ist eine Sitten-Satire der Achtzigerjahre

Von Julian Hanich

Es ist Winter in Tirol. Irgendwo in den Bergen steht ein Bauernhof. Einsam. Verschneit. Gemütlich. Hierhin haben sich Ingo (Hans-Jochen Wagner) und Nadja (Valerie Koch) zurückgezogen. Sie wollen allein sein. Beziehungsprobleme besprechen. Retten, was noch zu retten ist. Das ist der Plan. Nein: Das war er. Denn plötzlich drängt die Volleyballgruppe von Nadjas Bruder Knut mit Macht ins Haus, und Ingo und Nadja werden überrollt von einer Lawine der Freundlichkeit. Man arrangiert sich. Doch dann die schlechte Nachricht: „Sie haben Knut!“

Knut, Nadjas politisch aktiver Bruder, ist von der Polizei, nein: von den Bullen, geschnappt worden. Eine bleierne Zeit legt sich über die Gruppe. Gegensätze brechen hervor. Tusch! Und Auftakt zu einer Konfrontationspartitur: Die Enge und Abgeschiedenheit des Bauernhofes bilden den idealen Ort für diese Versuchsanordnung.

Regisseur Stefan Krohmer stößt sein Ensemble merkwürdiger, denkwürdiger Charaktere an wie eine Stimmgabel und lauscht dann ihren Schwingungen. Aggressionen bauen sich auf. Hackordnungen entstehen. Erotische Wahlverwandtschaften verschieben sich. Selbstgerechtigkeit, Egoismus und verletzter Stolz brechen hervor. Und das, man glaubt es kaum, kann ziemlich komisch sein. Dabei stellt Krohmer, der zuletzt in „Familienkreise“ den manierismusgefährdeten Götz George gezähmt hat, unter Beweis, dass er ein exzellenter Schauspieler-Regisseur ist. Schon das ist sehenswert.

Doch „Sie haben Knut“ ist auch eine Art Historiengemälde, ein Bilderbuch jüngerer Geschichte. Krohmer siedelt seinen Film bewusst an einer zeitlichen Schwelle an – Anfang der Achtzigerjahre. Die politische Kultur des vorangegangenen Jahrzehnts liegt wie ein japsender Fisch am Strand; die greedy eighties entwickeln langsam ihre Wucht. Und vermutlich kündet bald ein neuer Bundeskanzler die „geistig-moralische Wende“ an. Diese Skihütte ist – auch – ein Mikrokosmos der Bundesrepublik in einer Phase des Übergangs.

Einige Vollbärte, Gitarrenklampfer und Pazifisten haben noch überlebt. Wolfgang, der von Drehbuchautor Daniel Nocke gespielt wird, ist der Anführer dieser Politfraktion. Er fordert Pietät angesichts der Verhaftung Knuts. Bloß keinen Spaß! Es geht um politisches Handeln. Andererseits gilt: „Sie wissen nicht, dass ihre Zeit vorbei ist“, wie Birgit (Anneke Kim Sarnau) sagt. Die Spaßfraktion dreht langsam den Lautstärkeregler hoch. Gemeinsam tritt die Gruppe zu Fitnessübungen an, angeführt durch den alerten Skilehrer im „Lacoste“-Shirt – schließlich waren die Achtzigerjahre mit Aerobic und Bodybuilding ein Jahrzehnt des Körperkults.

Auch die Experimente der sexuellen Revolution neigen sich langsam ihrem Ende zu: Ingo, der sensible Bär, hat die Schnauze voll davon, ständig modern sein und offene Beziehungen führen zu müssen. Ingo spricht gedämpft, als übertrüge sich seine neue Innerlichkeit auf die Sanftheit seiner Stimme: „Diese Leichtfertigkeit ist mir zuwider.“

Wer Lukas Moodyssons „Zusammen“ kennt, dem wird Krohmers Konstellation bekannt vorkommen: die Konzentration auf ein Haus, das Zusammenprallen von Charakterextremen, die Vielzahl politischer Ansichten, die Perspektive der Kinder, der nostalgische und zugleich verwunderte Blick zurück. Doch im Gegensatz zu Moodysson gelingt es dem 32-jährigen Krohmer, der mit seinem Fernsehfilm „Ende der Saison“ bereits den Grimme-Preis gewonnen hat und im August mit „Familienkreise“ die TV-Kritiker begeisterte, in seinem Kinodebüt nicht, alle Ensemblefiguren gleichermaßen klar zu konturieren. Also fängt an manchen Stellen der Motor des Films ein wenig zu stottern an. Aber sonst? Kaum Schwächen.

Blow Up, Filmbühne am Steinplatz, fsk,

Hackesche Höfe, Kant, Kulturbrauerei

Julian Hanich

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