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Der Showroom des Fliesenherstellers Huguet auf Mallorca zeigt den Formen- und Farbenreichtum der Manufaktur.

© Luiz Diaz/Huguet

Comeback einer Handwerkskunst: „Die Industrie und wir – das sind zwei verschiedene Dinge“

Schicker Ton: Fliesen-Manufakturen in Österreich und Spanien gehen neue Wege - und wenden dafür uralte Techniken an.

Die alten Werte sind zurück. Originale sind besser als Fälschungen. Handwerk hat goldenen Boden. Langsamkeit geht klar vor Schnelligkeit. Es brauchte weder Lieferengpässe noch kriegerische Auseinandersetzungen, damit handgemachte Fliesen seit einigen Jahren schon wie Phönixe aus der Asche abgelebter Industriegesellschaften abheben. Zwei Beispiele gefällig?

Karak, eine junge Fliesenmanufaktur inmitten der Alpen in Vorarlberg, brennt so für kleine und feine handgefertigte Keramikprodukte, dass sich das Team den Abzug seiner Schmiedeesse mit Blattgold verziert hat. Und bei Huguet in Campos auf Mallorca laborieren sie seit Generationen damit herum, Produkte aus – inzwischen: recyceltem – Zement auf den Markt zu werfen. Als sei es Konfetti. Die eingestreuten Ingredienzien sind dabei so farben- und sinnenfroh wie das Leben selbst. Dennoch kommen die Gesamtkunstwerke ziemlich geerdet daher.

Terrazzo- und Zementfliesen auf Mallorca

Der Mallorquiner Biel Huguet arbeitet mit seinem Familienbetrieb seit einigen Jahren für weltweit bekannte Architekten und Designer, die seit etwa 2015 für eine neue Terrazzokunst am Bau stehen: Herzog & De Meuron, Carme Pinós, Barozzi Veiga, Alfredo Häberli, David Chipperfield, Sergison Bates und Caruso St John – um nur einige zu nennen. Vor gut einer Woche gab Biel Huguet einen tiefen Einblick in sein Schaffen. Vor dem Publikum des Architekturpreises Berlin e. V. hielt er im Kutscherhaus am Kurfürstendamm einen Vortrag über die Ursprünge und Entwicklung von Terrazzo und Zementfliesen.

Der Mallorquiner Biel Huguet hält für den Boden Feinsteinzeug in vielen Varianten, für die Bäder Zementfliesen in Creme- und Grüntönen bereit. Er arbeitet nur mit recyceltem Material und streut Keramik-, Glas-, Marmor-, Plastik- oder Holzsplitter in seine Neukreationen ein.
Der Mallorquiner Biel Huguet hält für den Boden Feinsteinzeug in vielen Varianten, für die Bäder Zementfliesen in Creme- und Grüntönen bereit. Er arbeitet nur mit recyceltem Material und streut Keramik-, Glas-, Marmor-, Plastik- oder Holzsplitter in seine Neukreationen ein.

© Huguet Mallorca

Huguets Firma stellt seit 1933 Bodenfliesen und Terrazzoprodukte her, die in der mallorquinischen Tradition stehen. Im 13. und 14. Jahrhundert hatte die Fliesenkunst in Spanien ihre Blüte erreicht (Alhambra von Granada, Alcazar von Sevilla). Mallorca war der Hauptumschlagplatz spanischer Fliesen, darum nannte man später alle farbig glasierten Fliesen „Majolika“. Der begehrte Ausfuhrartikel erreichte Italien, Frankreich, England und Holland.

Doch die Spur dieser Steine reicht viel weiter in die Vergangenheit zurück: Man denke nur an die Mosaikfußböden in Pompeji (Untergang im August 79 nach Christi Geburt) oder an die Bikinimädchen in der Villa Romana del Casale in der Nähe der Stadt Piazza Armerina auf Sizilien (vielleicht um 310 n. Chr.).

© Huguet Mallorca

Huguets Betrieb war Mitte des 20. Jahrhundert einer von etwa einhundert auf Mallorca. Doch dann begann mit dem touristischen Run auf die damalige „Hausfraueninsel“ der Bauboom der siebziger Jahre. Huguets Manufaktur drohte das Aus: Die industrielle Produktion von Fliesen ging schneller, auch war sie preiswerter. Notgedrungen stellte sich der Betrieb um und produzierte nun Gewölbeversatzstücke und Träger aus Zement. Das Comeback der Huguet-Fliese datiert Biel Huguet, der Enkel des Firmengründers, auf die Neunziger. Damals entwickelte man wieder ein Faible für die traditionelle Kultur, suchte Kunst und Genuss. Nicht nur Deutsche hatten „Flugzeuge im Bauch“, wenn sie an „Malle“ dachten. Optimismus und Hedonismus formten den Geist der Zeit.

Seitdem experimentiert Biel Huguet mit Formen und Farben. 36 sanfte Farbtöne bilden aktuell die Palette. Die Fliesen sind uni oder gemustert, traditionell oder modern gestaltet, immer von Hand hergestellt, in wachsenden Dimensionen: „Seit 2005 werden die Fliesen immer größer, inzwischen bis zu einem mal einem Meter“, sagt Biel Huguet, der mit seiner Terrazzokunst nun auch Waschtische und -becken umspült und farbige Betonmöbel wie etwa Sitzbänke und Hoteltresen aus einem Guss fertigt – wahlweise gerne auch mit Einsprengseln aus Kork oder geschredderten Turnschuhen der Marke Nike.

Tonfliesen mit alter japanischer Brenntechnik

Von einer neuen Steinzeugzeit träumt auch Thomas Rösler mit seinem Co-Geschäftsführer Sebastian Rauch. Sie haben mit ihren Firma Karak die Tonfliese noch einmal neu erfunden. Ausgehend von einem Würfel, aus dem sie kugelförmige Bogenmuster herauszogen, begannen sie ab 2015 mit der Produktion von Design-Fliesen. Sie studierten die japanische Raku-Brenntechnik und verweben sie heute mit digitaler Grafik. Geometrisch am Computer konstruierte Ornamente werden dabei durch Siebdruck auf Fliesen aufgetragen und in der archaischen, 700 Jahre alten Technik gebrannt. Dabei wird jedes Stück bei 800 bis 900 Grad Celsius glühend aus dem Ofen genommen, in Sägespänen eingegraben und danach in kaltem Wasser abgeschreckt.

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Durch die stark einwirkenden elementaren Kräfte wird jede Fliese zu einem Unikat. „Die Fliese glüht weiß, wir tragen die Lasur auf und Fichten-Sägespäne“, sagt Rösler: „Die Lasur aus fein gemalenem Glas schmilzt. Das ist pure Alchemie. Es gibt 3600 verschiedene Gläser, dann gibt es noch zwanzig andere Rohstoffe, die man dazuschütten kann. Das Verbrennen der Sägespäne zieht Sauerstoff rund um die Fliesen an, und es entsteht eine Atmosphäre. Bei der Verbrennung entsteht Kohlenstoff und färbt das Weiße schwarz ein – Kohlenstoff will immer unbedingt Verbindungen eingehen mit Metall, zum Beispiel mit Kupferoxid. So werden es eigentlich komplett unkontrollierbare Fliesen.“

700
Jahre alt ist die Technik, derer sich die Manufaktur Karak in Österreich bedient.

Rösler ist einer der Philosophen dieser Handwerkskunst. „Alles, was wir gemacht haben, dreht sich um die Frage: Wie viel Ordnung braucht das Chaos?“, sagte er im Juni in seiner Werkstatt während der Leserreise „Architektur und Genuss in Vorarlberg“, zu der Der Tagesspiegel mit dem Veranstalter „Ticket B“ eingeladen hatte. Fliesen, das ist für Rösler und Rauch Material, das sinnliche Räume begründet. Der Weg ist dabei das Ziel. „Das Produzieren der Fliesen, das Machen, das ist unser Leben“, sagt Rösler am heutigen Firmenstandort in Bludenz: „Die fertige Fliese ist das Überleben. Wir sind eine klassische Manufaktur, die Mindestbestellmenge ist ein Stück.“

Thomas Rösler, Gründer und Geschäftsführer der Fliesenmanufaktur Karak in Österreich.
Thomas Rösler, Gründer und Geschäftsführer der Fliesenmanufaktur Karak in Österreich.

© Karak/Österreich

Viele Kunden kommen und kaufen auch nur eine Fliese. Für einen Boden reicht das nicht, aber für einen Untersetzer taugt es: „Das ist schon eine tiefe Wertschätzung“, findet der Keramik-Mann von Karak. „Achtzig Prozent von unserer Kundschaft sind mittelständische Haushalte. Die kaufen sich zwei bis fünf Quadratmeter Fliesen, zum Beispiel für den Kachelofen. Oder für einen Fliesenspiegel in der Küche – wie ein Gemälde.“ Zum Einsatz kommen die Preimumfliesen auch in Dusche, Bad und WC, zur Bargestaltung oder für Trennwände.

Herzblut statt Hightech

Die Verwendungszwecke zeigen: Die Fliese ist nicht alles. Doch ohne Fliesen ist vieles weniger. „Die Menschen kommen in unseren Showroom und suchen Fliesen“, sagt Huguet, „doch sie bekommen einen Bodenbelag.“ Das beschreibt die erste Lernkurve, wenn es um Auswahlkriterien geht. Wichtiger noch ist wohl diese vom Publizisten und Architekten Wilfried Wang formulierte Erkenntnis: „Die Fliesen müssen in Zusammenhang mit der Architektur gesehen werden.“

Reiner Ton macht bei der Manufaktur Karak die Musik.
Reiner Ton macht bei der Manufaktur Karak die Musik.

© Reinhart Bünger

Während bei Huguet Portlandzement ein wichtiger Grundbestandteil ist, macht bei Rösler reiner Ton die Musik. „Es gibt den weißen Ton, den am meisten vorkommenden Rohstoff der Erde und den braunen Ton, mit viel Mangan drin und den roten Ton, der enthält viel Eisen.  Der Ton wird gebrannt. Wenn ich über 1100 Grad Celsius brenne, habe ich Steingut, wenn ich unter 1100 brenne, dann habe ich Steinzeug, wenn ich über 1200 Grad Celsius brenne, habe ich Feinsteinzeug.“ Steingut-, Steinzeug- und Feinsteinzeug gehören zur Gruppe der Feinkeramik.

Die Industrie würde es eine schlechte Qualität nennen und wir nennen es genau die richtige Qualität, weil unsere Keramik ururalt ist.

Thomas Rösler, Geschäftsführer Karak (Österreich)

„Das Material unterscheidet sich eigentlich nur mit Blick auf die Wasseraufnahme“, sagt Rösler, „die Farbe ändert sich auch noch ein bisschen durch die Temperatur. Das Material wird mit 120 Tonnen gepresst und dann haben wir einen Rohling.“ Mit Quarzstein wird die Oberfläche poliert.

Die Fliesen werden bis zu dreißig Mal in die Hand genommen, bis sie dann an ihrem Bestimmungsort verlegt worden sind. Es geht um Herzblut statt Hightech. Ist das wirtschaftlich? Rösler arbeitet in anderen Kategorien. „Wir können fünfhundert Quadratmeter im Jahr machen“, sagt er, „das ist eine Halbstundenproduktion einer großen industriellen Fliesenproduktion. Für die sind wir die größten Spinner.“ Indes: In dieser Qualität könne die Industrie ein solches Produkt gar nicht mehr liefern.

Die Fliesen sind handgemacht, nachhaltig - und einzigartig

Auch der Mallorquiner Biel Huguet beklagt, dass industrielle Fertigungsweisen viel historisches Wissen über die Herstellung von Fliesenkunst zerschlagen haben. „Dabei sind Variationen enorm wichtig: weil sie den Unterschied zur industriellen Produktion ausmachen. Das ist zugleich der Unterschied zwischen etwas Lebendigem und dem Toten. Man sieht unseren Fliesen an, dass sie handgemacht sind – es gibt unterschiedliche Schattierungen, je nachdem wie das Licht einfällt. Industriell gefertigte Standardfliesen sind nicht wirklich schön. Was wirklich Zukunft hat ist natürlich, handgemacht, nachhaltig, warm und einzigartig.“ An diesem Punkt argumentieren Huguet und Rösler wie aus einem Guss.

Beide glauben fest daran, dass man jeden Produktionsschritt spürt, der in ihren Produkten steckt, seinen sie nun aus Zement oder aus Ton. „Die Industrie und wir – das sind zwei verschiedene Dinge“, sagt Rösler: „In unserer demokratischen Faktenwelt wird uns immer eingeredet: Wenn das nicht messbar ist, dann gibt es das nicht. Das ist der abstruseste Unsinn, den ich je gehört habe. Manchmal werden die Dinge einfach verwechselt. Es wie bei einem schönen Menschen. Es kommt nicht drauf an, dass der hübsch ist. Das ist eine ganz andere Sache. Jeder weiß es eigentlich. Extrem hässliche Menschen können wunderschön sein. Was wir da machen, das hat auch seine Berechtigung. Die Industrie würde es eine schlechte Qualität nennen und wir nennen es genau die richtige Qualität, weil unsere Keramik ururalt ist. Heute will Keramik aber alles sein – außer Keramik. Heute will Keramik Marmor sein oder Holz oder wie eine alte abgenutzte Fliese aussehen. Ein spannendes Konzept, oder? Darüber müssen wir lachen. Ist es nicht zum Lachen, wenn aus dem Laserdrucker gedrucktes Material wie Naturstein aussehen soll?“

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