zum Hauptinhalt
Dunkler Ort. Das Frauengefängnis Hoheneck im sächsischen Stollberg.Foto: Bebra-Wissenschaft-Verlag

© Dirk von Nayhauß

Kultur: Die Kälte der DDR

Zuchthaus und Zwangsadoptionen: Opfer der Diktatur erzählen ihre Lebensgeschichten.

Ein Leben, ein einziger Satz: „Nun bin ich frei und doch gefangen“, sagt Ute Bonstedt, eine hübsche, sehr kranke Frau, um auszudrücken, was die DDR mit ihr gemacht hat. Ute Bonstedt ist 46 Jahre alt, sie ist frei von den Grenzen und Zwängen der DDR und doch fürs Leben geschädigt – von fast acht Monaten der Haft in Hoheneck.

Der Name dieser Haftanstalt ist ein Synonym für den eiskalten, allen westlichen Vorstellungen von Strafvollzug spottenden Umgang mit Gefangenen. Bonstedt wurde mit 20 inhaftiert. Mit 18 hatte die Pazifistin einen Ausreiseantrag gestellt. Dann schrieb sie Protestlosungen an Häuserwände, geriet ins Blickfeld der Stasi und wurde wegen öffentlicher Herabwürdigung der DDR zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. In Hoheneck sperrte man sie in einer Großzelle mit Kriminellen zusammen. Das war eine Methode in dieser Haftanstalt, um die politischen Häftlinge zu treffen und zu demoralisieren. „Unter 24 Mördern und Kriminellen war ich die einzige Politische“, berichtet Ute Bonstedt. „Ich war noch keine zehn Minuten in der Zelle, da schlug eine Faust in mein Gesicht und ich hörte ein Knacken in meinem Kiefer. Ich bangte um mein Leben.“

25 Frauen erzählen in „Der dunkle Ort“, wie sie im sächsischen DDR-Frauengefängnis Hoheneck überlebt haben. Das schlanke Buch ist ein Kompendium des Grauens. Es lehrt zweierlei: In der DDR waren Brutalität, Misshandlung, Verachtung im Umgang mit politischen Häftlingen gewollt, sie waren Teil des Strafvollzugs. Die Ärztin Renate Werwigk-Schneider wurde 1967 nach einem Fluchtversuch in Hoheneck inhaftiert. Als Kinderärztin wurde sie „in eine Zwölferzelle mit lauter Kindesmörderinnen gesteckt. Die erzählten mir dann immer wieder ihre schrecklichen Geschichten. Überhaupt war die ganze Umgebung furchteinflößend. Im Erdgeschoss unter uns saßen die alten Nazifrauen, die grüßten noch mit ‚Heil Hitler’“. 30 Frauen in einem Raum, ein Klo, zu wenig Betten, Kälte, zu wenig Decken, miserables, kakerlakenverseuchtes Essen, Kontaktsperre, Zwangsarbeit. Viele Frauen mussten im Akkord Bettwäsche für westliche Kaufhäuser nähen. An den Folgen des Vollzugs leiden viele Exhäftlinge noch heute, während die DDR zur Geschichte wird. Noch einmal Ute Bonstedt, weil ihre Geschichte so deutlich sagt, was ihr geblieben ist von der DDR- Justiz: In den 90er Jahren hatte sie das Bergsteigen angefangen als eine Art Therapie. Sie schreibt: „Ich habe in der Kälte Hohenecks so gelitten und heute fühle ich mich am wohlsten, wenn ich ganz allein in Schnee und Eis herumklettere, dann bin ich ganz bei mir. Das Schlimmste ist aber, dass ich körperlich ein Wrack bin und auf meine Touren verzichten muss. Damit ist meine Freiheit weg.“

So ist das, wenn man den Schatten der Geschichte nicht los wird. Ulrich Schacht, Autor und Journalist, wurde 1951 im Zuchthaus Hoheneck geboren. Seine Mutter saß dort ein, weil sie Schachts Vater, einen russischen Soldaten, zur Flucht hatte bewegen wollen. Ulrich Schachts Buch „Vereister Sommer“ beschreibt, wie es zur Verhaftung seiner Mutter kam, es erzählt in Gestalt ihrer Briefe von den Umständen der Haft und von seiner, Ulrich Schachts Prägung durch die Geschichte der Mutter. Dass sie auf Abstand zum System war und blieb, versteht sich; dass er als junger Mann die Konfrontation mit der Staatsmacht suchte, versteht sich nicht unbedingt. Inhaftiert wegen „staatsfeindlicher Hetze“, machte auch er seine Erfahrung mit dem DDR-Vollzug der 70er Jahre, einschließlich der gemeinsamen Unterbringung mit Männern, die andere umgebracht hatten. Schacht wurde in der und durch die DDR zu einem eichenharten Verfechter fundamentaler Freiheit, wozu für ihn auch die Freiheit des Suchens und Forschens gehört.

Besonders deutlich wird das in einem langen Gespräch, das er kurz nach dem Fall der Mauer mit dem Richter führte, der ihn für sieben Jahre ins Gefängnis geschickt hatte. Schachts Bemühen, den Mann zum Reden zu bringen, wird von einem eigenartigen Erfolg belohnt. Sein Richter gratuliert ihm tatsächlich und sagt, er freue sich, „dass ich einen Menschen vor mir habe, der diesen Weg gemacht und der diese Wende herbeigeführt hat“. Wenig später betont er, „kein Wendehals“ zu sein – und doch wirkt er, als sei das Wort für ihn erfunden worden.

Nach derart befremdenden Begegnungen mit der eigenen Vergangenheit geht Schacht den Weg weiter Richtung Osten, bis nach Moskau, wo er seinen Vater ausfindig macht – und zu ihm findet. „Vereister Sommer“ ist ein bewegend-autobiografisches Buch, die Lebensgeschichte eines kalten Kriegers, die einem kalte Krieger nahebringt. Es ist aber keine Untersuchung vaterlosen Aufwachsens. Katrin Behrs „Entrissen“ hingegen erzählt, wie ein Kind sich fühlt, dem ein paar obskure Gestalten eines Morgens die Mutter weggenommen haben. Die Stasi und die DDR-Behörden haben Katrin Behr zu einem Menschen gemacht, dessen Entwicklung über lange Zeit von staatlichen Zwangsmaßnahmen geprägt war. Heimunterbringung einschließlich der zynischen Behandlung durch eine Erzieherin, die Katrin Behr für ihre politisch-renitente Mutter bestrafen wollte; dann die Adoption durch ein linientreues Paar, zu dessen Vorstellung von Familienglück ein Kind gehörte, das nach sozialistischen Idealen zu formen war. Katrin Behr beschreibt das alles mit großer Offenheit und Ehrlichkeit. Die DDR mit ihren Heimen, der Anmaßung, die Leute zu ihrem Glück zu zwingen, mit ihrer Plattenbauordentlichkeit und ihrer behördlichen Allzuständigkeit steht vor dem Leser, als habe dieser Staat gerade erst zu existieren aufgehört.

Auch Katrin Behrs Geschichte ist die Geschichte eines Menschen, der unter seelischem Druck krank geworden ist. Sie musste Illusionen und Enttäuschungen in Massen aus ihrem Leben räumen, um wieder lebenstauglich zu werden. Ihre Adoptiveltern hatten es geschafft, sie zu einer gläubigen DDR-Sozialistin zu erziehen. Das Ende der DDR zwang ihr die Konfrontation mit ein paar Überzeugungen auf, und es veranlasste sie, ihre leibliche Mutter zu suchen und die Motive für deren Inhaftierung zu erforschen.

Katrin Behr berät heute Menschen, die wie sie mit den Folgen der DDR-Willkür und einer Zwangsadoption leben müssen. Politisch kämpft sie dafür, dass diese Menschen als Opfer der Diktatur anerkannt werden. Jetzt, da sie ihre Vergangenheit kennt, ist sie bei sich.

Dirk von Nayhauss, Maggie Riepl: Der dunkle Ort. 25 Schicksale aus dem DDR-Frauengefängnis Hoheneck. Bebra- Wissenschaft-Verlag, Berlin 2012. 144 Seiten, 19,95 Euro.

Ulrich Schacht: Auf der Suche nach meinem russischen Vater. Aufbau-Verlag, Berlin 2011. 221 Seiten, 19,95 Euro.

Katrin Behr: Entrissen. Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm. Droemer-Verlag, München 2011. 304 Seiten, 16,99 Euro.

Zur Startseite