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Kultur: Die Kinder vom Breiti

Straßenkinder erzählen: die Doku „Neun Leben“

Jessicas Mutter hing an der Flasche. Za wurde von ihrem Bruder geschlagen. Krümel war 13, als sich sein Vater auf dem Dachboden erhängte. Irgendwann, mit 12 oder 14, haben die verstörten Kinder in der Flucht den Ausweg gesucht und in ihren Cliquen zum ersten Mal ersatzfamiliäre Nähe an den Punker-Treffs am Alex, Zoo oder dem zärtlich Breiti genannten Breitscheidplatz.

Straßenkinder und ihr Überlebenskampf sind ein gerne gefilmtes journalistisches Sujet. Regisseurin Maria Speth geht mit ihrem Dokumentarfilm „Neun Leben“ einen anderen Weg. Sie geht mit ihren Heldinnen und Helden nicht zum Betteln oder in die Wärmestube, sondern setzt sie vor einer weißen Wand im Studio in Pose – perfekt ausgeleuchtet, in bester Kameraqualität. Gestylt haben sich die Porträtierten vorher selbst. Dann erzählen sie: Familiäre Vernachlässigung und Isolation in der Kindheit, emotionale Verletzungen und Drogen sind Dauerthemen. Doch es geht auch um den Alltag auf der Straße, um Freundschaften, Freiheit, Geld und Tod. Dabei kommen die Jugendlichen keinesfalls nur aus dem Hartzer-Milieu. Sunny führte jahrelang ein Doppelleben zwischen Reitstunden, Klarinettenunterricht und Heroin. Za war eine der Besten von „Jugend musiziert“.

Mit ihrem Cello und Tschaikowskys Nocturnes setzt sie musikalische Intermezzi, die die Gesprächsstücke gliedern und kommentieren. Diese Montage und die visuelle Isolierung aus ihren Lebenswelten entindvidualisiert die sieben Jugendlichen zu Typen, meißelt aber auch die Persönlichkeiten heraus. Für die meisten der Jugendlichen war das Straßenleben nur Durchgangsstation. Sunny kam mit 23 von den Drogen los und hat eine eigene Wohnung. Stöpsel arbeitet als Altenpflegerin, umhegt mit dem Partner fünf Kinder („Soll ja mal was Ordentliches aus ihnen werden...“). Soja versucht, sich auf dem Jakobsweg den Hass auf die Mutter abzuwandern. Silvia Hallensleben

Hackesche Höfe

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